Objekt des Monats

Objekt des Monats Oktober 2018

Bronzekassette auf rotem Marmorsockel mit antikisierten Statuen

Inv.-Nr.: 4265

Maße: 35 x 21 x 29 cm

Das Objekt

In diesem Monat präsentiert die Schell Collection eine Kassette aus Bronze mit Darstellungen von antiken Gottheiten und mythischen Wesen. Das Objekt stammt aus dem Italien des 19. Jahrhunderts. Die Kassette hat eine rechteckige Form und steht auf einem Sockel aus rot-braun geflecktem Marmor, dem so genannten „rouge griotte“. Das Objekt weist dekorative Elemente wie Statuen oder Säulen auf, die antiken Vorbildern nachempfunden sind. Vor allem die Statuen kann man auf dem flachen Deckel sowie an allen Seitenwänden entdecken. Auf der Vorder- und Rückseite befinden sich je vier Statuen, auf den Seitenflächen drei und auf dem Deckel eine.

Die Statuen

Die Figuren sind überall auf der Kassette angeordnet. Einige sind berühmten Plastiken nachempfunden, während andere nicht eindeutig einem bekannten Vorbild aus der plastischen Kunst zugeordnet werden können.

Auf dem Deckel der Kassette kann man bereits eine Statue bewundern. Diese ist eine Darstellung  des griechischen Sonnengottes Helios. Der Gott steht auf einem Wagen und hält mit einer Hand die Zügel eines Pferdegespanns. In der anderen Hand trägt Helios eine Fackel, die es den Betrachtern ermöglicht, ihn als Gott der Sonne zu identifizieren. Helios trägt einen wallenden Umhang, ansonsten ist die Figur nackt dargestellt. In der griechischen Antike gibt es nur wenige Mythen in denen Helios als Protagonist in Erscheinung tritt. Das berühmteste Beispiel ist die Geschichte vom Sturz des Phaeton. Dieser war ein Sohn des Helios, den der Gott mit einer Sterblichen gezeugt hatte. Der Jüngling bat seinen göttlichen Vater um einen Gefallen. Helios schwor beim Styx ihm jeden Wunsch zu erfüllen – ein Versprechen, das er nicht brechen konnte. Phaeton wollte unbedingt den Sonnenwagen seines Vaters fahren und Helios musste ihn gewähren lassen. Doch der unglückliche Junge konnte das Gefährt nicht lenken und stürzte dabei in den Tod. Zeus hatte ihn nämlich mit einem Blitzstrahl niedergestreckt, damit der glühendheiße Sonnenwagen auf Abwegen nicht die ganze Erde in Brand stecken konnte.[1] In anderen Mythen erscheint Helios als die allsehende Sonne. In dieser Funktion verrät er die Affäre von Aphrodite und Ares an Hephaistos.[2] Weiters besitzt der Sonnengott eine goldene Schale, mit der er jede Nacht vom Westen über das Meer wieder in den Osten fährt. Diese borgte er einst dem Herakles als Transportmittel.[3] Odysseus und seine Gefährten zogen sich auf ihrer Irrfahrt den Zorn von Helios zu, da sie einige seiner heiligen Rinder geschlachtet hatten.[4] Helios wurde vor allem auf der Insel Rhodos verehrt. Der, als eines der Sieben Weltwunder bekannte, Koloss von Rhodos soll eine Darstellung des Sonnengottes gewesen sein. Die Sage erzählt, dass Helios bei der Verteilung der Erde unter den Göttern leer ausging, weil er gerade in seiner Funktion als Sonne unterwegs war. Da erblickte der Gott im Osten eine wunderschöne Insel und bat Zeus um diese. Dieser gab sie Helios, denn so musste der Göttervater nicht von vorne mit der Verteilung beginnen. Bei der Insel handelt es sich um das gerade aus dem Meer emporgestiegene Rhodos.[5] Im Lauf der Zeit wurde Helios mit dem Licht- und Orakelgott Apollon gleichgesetzt und seine Schwester Selene, der Mond, mit der Jagdgöttin Artemis.[6] Helios wird meistens mit einer Fackel in der Hand oder einem Strahlenkranz auf dem Kopf dargestellt. Oft – wie im Fall dieser Kassette – sieht man ihn auf einem Pferdewagen fahrend. Als sein heiliges Tier galt der Hahn als Verkünder des Tagesanbruchs. Die Römer setzten Helios mit ihrem Sonnengott Sol gleich.[7]

Kommen wir nun zur Vorderseite. Hier sieht man vier antikisierte Statuen. Auf der Vorderseite Die dritte Figur von links könnte aller Wahrscheinlichkeit nach den griechischen Weingott Dionysos darstellen. Er trägt einen Kranz aus Weinlaub oder Efeu auf dem Kopf und ist nackt dargestellt. In der Hand sind Trauben angedeutet. Dionysos galt als Sohn des Zeus und einer Sterblichen namens Semele. Diese wünschte sich den Gott in seiner wahren Gestalt zu sehen und Zeus kam zu ihr als Blitz. Semele überlebte diesen Anblick nicht und Zeus entnahm das ungeborene Kind aus dem Körper seiner Geliebten. Der Gott trug es selbst in seinem Schenkel aus, bis es geboren wurde. Das Kind bekam den Namen Dionysos und wurde zum Gott des Weines und der Feste. Seine Attribute sind der Thyrsos-Stab, Trinkgefäße oder auch der Panther. Die Römer verehrten den Weingott unter dem Namen Bacchus.[8]

Rechts neben Dionysos befindet sich die Statue einer weiblichen Gestalt. Dabei könnte es sich um die Nachbildung der Statue der „Venus von Arles“ handeln, die heute im Louvre steht. Wie das Vorbild hält die Figur hier den linken Arm erhoben und hat einen nackten Oberkörper. Die Hüften und die Beine sind von einem Gewand bedeckt. Die römische Liebesgöttin Venus, die die Griechen als Aphrodite kannten, wird häufig mit entblößtem Oberkörper oder völlig nackt dargestellt. Die berühmte Statue der „Venus von Milo“ ist nur ein Beispiel von vielen. Über die Abstammung von Venus bzw. Aphrodite gibt es zwei Varianten. In einer Version gilt sie als Tochter von Zeus und der Titanengöttin Dione. Die zweite – wahrscheinlich bekanntere – Variante erzählt von der Verstümmelung von Uranos (Himmelsgewölbe) durch seinen Sohn Kronos. Der Sohn schnitt dem Vater mit einer Sichel die Genitalien ab. Diese fielen ins Meer und aus dem daraus entstandenen Schaum wurde Aphrodite (lat. Venus) geboren. Bei der Insel Zypern stieg die Göttin an Land. Venus galt als Göttin der Liebe, der Schönheit und der Anmut. Sie hatte neben ihrer Ehe mit dem Feuergott Hephaistos viele Liebschaften mit anderen Göttern, aber auch Sterblichen.[9]

Auf der Rückseite finden sich ebenfalls Figuren, die den Betrachter an berühmte Plastiken der Kunstgeschichte erinnern. Von links nach rechts gesehen könnte es sich bei der ersten Statue um die Darstellung des obersten griechischen Gottes Zeus handeln. Die Handhaltung deutet möglicherweise das Schleudern eines Donnerkeils oder Blitzes an. Zeus, den die Römer unter dem Namen Jupiter verehrten, galt als oberster Gott und herrschte über den Himmel. Die Griechen verbanden ihn mit Blitz und Donner. Obwohl Zeus mit Hera verheiratet war, hatte er zahlreiche Liebschaften mit Göttinnen und Sterblichen. So zeugte der Gott viele berühmte Halbgötter und Heroen. Als sein heiliges Tier galt der Adler und seine Waffe war der Donnerkeil, mit dem er seine Feinde zur Strecke brachte.[10]

Die dritte Statue von links aus gesehen ist unverkennbar eine Nachbildung der Skulptur  „Herkules Farnese“. Man sieht den berühmtesten Halbgott der griechischen Mythologie auf seiner Keule lehnen über der sein Löwenfell gebreitet ist. Herkules war die lateinische Bezeichnung des griechischen Namen Herakles. Im Original ist die Statue unbekleidet, auf der Kassette trägt sie ein Feigenblatt über dem Intimbereich. Herakles galt als Sohn des Zeus und der Alkmene. Seine Stiefmutter Hera verfolgte ihn und seine Mutter mit ihrem Hass. Durch ihr Eingreifen wurde Eurystheus, der Cousin des Herakles, früher geboren und so zum Herrscher über Mykene. Eurystheus versuchte Herakles loszuwerden, in dem er ihm zehn übermenschliche Taten vollbringen ließ. Dazu zählte beispielsweise die Hydra von Lerna töten oder den dreiköpfigen Hund Kerberos aus der Unterwelt holen. Zwei der Arbeiten wurden von Eurystheus nicht anerkannt und musste Herakles noch zwei weitere Taten vollbringen. Danach war Herakles nicht untätig, sondern befreite die Welt weiterhin von Übel oder half anderen mit seiner Stärke. So befreite er Prometheus und tötete den Adler, der ihn quälte.[11]

Die vierte Figur auf der Rückseite erinnert vom Aussehen her ebenfalls an die „Venus von Arles“, die bereits thematisiert wurde.

An den vier Ecken befindet sich je eine Statue, die optisch den Deckel der Kassette zu stützen scheint. Vom Aussehen her erinnern sie an eine Figurengruppe aus Marmor, die im Louvre bewundert werden kann. Man kennt sie unter dem Begriff „Satyren en Atlante“. Man datiert die Statuen in die römische Kaiserzeit und jede Statue hat eine Höhe von 2,18 m. Vier Satyren stehen im Kreis in einer Haltung mit nach vorne geneigtem Kopf da, als würden sie etwas Schweres auf ihren Schultern tragen.[12] Damit erinnern sie an den Titanen Atlas, der zur Strafe, dass er sich gegen die olympischen Götter aufgelehnt hatte, das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern tragen muss.[13] Die Statuen auf der Kassette sind wie ihre steinernen Vorbilder bärtig und tragen nur einen Lendenschurz. Sonst lassen keine optischen Merkmale wie Bocksbeine oder lange Ohren darauf schließen, dass es sich um Satyren handelt. Diese Erscheinungsmerkmale wären eigentlich typisch für Satyren. Sie galten als Naturgeister, die sich häufig im Gefolge des Gottes Dionysos befanden. Diese Wesen dachte man sich als trinkfreudig, schelmisch und lüstern. So stellten die Satyren in den Mythen oft schönen Nymphen oder Sterblichen nach.[14]

Das Material

Wie bereits erwähnt wurde diese Kassette aus Bronze angefertigt. Diese Metalllegierung besteht aus 60-90% Kupfer und 10-40% Zinn. Man kennt und verwendet Bronze schon seit Tausenden von Jahren. Funde belegen die Nutzung bereits am Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. im Alten Ägypten bzw. Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. in den mesopotamischen Hochkulturen und Indien (Harappa-Kultur). Im alten China ist Bronze dann ab der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. nachweisbar. Als Vorteile von Bronze im Gegensatz zu Kupfer wären dessen höhere Härte, geringere Schmelztemperatur und bessere Gusseigenschaften zu nennen. Mit der Zeit korrodiert Bronze und erhält eine grüne Patina, die als Grünspan bezeichnet wird.

Die Legierung verbreitete sich auch in Europa und so fand man Alltagsgegenstände aber auch Waffen aus Bronze, die im Griechenland des 2. Jahrtausends v. Chr. Verwendung fanden. Die homerischen Epen sind eine Quelle dafür, obwohl sie aus einer späteren Zeit stammen. Das altgriechische Wort für Bronze lautet „chalkos“. Bronze hatte bei den Griechen und auch den Etruskern einen hohen Stellenwert und die Gießereien waren bald ein blühendes Handwerk. Anders im Römischen Reich, wo der Bronzeguss nie jene Bedeutung erreichte, die er in anderen Kulturen genoss. Das mag auch daran gelegen sein, dass mit dem 1. Jahrtausend v. Chr. ein neues Metall seinen Siegeszug antrat – das Eisen. Nach und nach wurde die Bronze von dem härteren und leichter abzubauenden Eisen abgelöst. Dennoch wussten die Römer Kunstwerke aus Bronze zu schätzen, wobei dieses Material im Lateinischen als „aes“ bezeichnet wurde.

Als bedeutende Kulturen der Bronzezeit in Europa (1700-800 v. Chr.) wären die Aunjetitzer-Kultur (frühe Bronzezeit), die Hügelgräber-Kultur (mittlere Bronzezeit) und Urnenfelder-Kultur (späte Bronzezeit) zu nennen. Etwas zeitverzögert hält die Bronze auch in Nordeuropa Einzug und schon bald finden sich Gerätschaften und Waffen aus der Kupfer-Zinn Legierung.[15]

Text: Mag. Verena Lang

Literatur:

Berger, Ewald: Prunkkassetten. Europäische Meisterwerke aus acht Jahrhunderten. Graz – 1998.

Der kleine Pauly – Lexikon der Antike in fünf Bänden, Hrsg. Sontheimer und Ziegler, Bd. 1. München – 1979.

Hartmann, P.W.: Kunstlexikon. Wien, 1996.

Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen, Bd. 1 und 2, 21. Auflage. München – 2004.

Kinder, Hermann; Hilgemann, Werner: dtv-Atlas Weltgeschichte, Bd. 1 Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, 37. Auflage, München – 2004.

Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Leipzig – 1869.

Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Wien – 1974.

Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie, 8. bibliographisch aktualisierte Aufl. Stuttgart – 2012.

Weblinks:

URL: cartelfr.lourvre.fr/cartelfr/visite?srv=car_nol_frame&idNotice=9495, abgerufen am 1. September 2017

 

[1] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 218. Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 29-31; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 215.

[2] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 217; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 214.

[3] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 217; Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 153; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mytholgoie. S. 215.

[4] Vgl. Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 455f.

[5] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 217; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 214.

[6] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 137.

[7] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 217.

[8] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie, S. 202-208; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 156-164.

[9] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 159-167; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 58-62.

[10] Vgl. Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 543-548.

[11] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 2. S. 105-161.

[12] Vgl. URL: cartelfr.lourvre.fr/cartelfr/visite?srv=car_nol_frame&idNotice=9495, abgerufen am 1. September 2017.

[13] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 1. S. 140; Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 84.

[14] Vgl. Tipp, Reclams Lexikon der Mythologie. S. 474.

[15] Vgl. Kinder, dtv-Atlas Weltgeschichte, Bd. 1. S. 18; Der Kleine Pauly – Lexikon der Antike, Bd. 1. Sp. 951-952. Vgl. Hartmann, Kunstlexikon. S. 244.