Nepalesische Prunkkassette
Material: Silberfiligran, Kupfer, Gold, Lapislazuli, Türkise, Koralle
Datierung: 20. Jahrhundert
Maße: 48 x 28 x 32 cm
Inv. Nr.: 8151
Wie in allen Himalaya Staaten ist auch die nepalesische Kunst meist von Religion (Buddhismus und Hinduismus) beeinflusst — rein profane Kunst findet sich kaum.[1] Bei dem vorgestellten Objekt des Monats handelt es sich um eine nepalesische Prunkkassette aus dem 20. Jahrhundert. Die achteckige Silberfiligranarbeit diente zur Aufbewahrung von Gegenständen und Manuskripten für rituelle Zeremonien und ist reich an Verzierungen. Halbedelsteine wie Lapislazuli, Türkise und Korallen, aber auch Golddekor lassen sich an der Kassette bestaunen. Sie bilden rund um das Objekt Figuren und Ornamente, welche zum Teil reliefartig hervortreten.
Auf der Oberseite befindet sich ein abnehmbarer Deckel, auf dem Khadchery in Weiß, Amithba Buddha in Rot und die grüne Tara zu sehen sind. Nimmt man den Deckel ab, kommen Abbildungen von Vajradhara in Blau, Amithba Buddha in Rot und der weißen Tara zum Vorschein. Außerdem sieht man auf der Oberseitenkomposition vier rundum angeordnete Darstellungen von Bodhisattvas (Erleuchtungswesen), links oben einen roten Drachen, rechts oben einen blauen Löwen, rechts unten einen türkisen Tiger, mittig zwei weiße Tauben und links unten einen bunten Garudha. Die Vorderseite zeigt zentral über das Schloss wachend Chepu, den Beschützer, sowie neben ihm zwei rot dargestellte Engel. Darunter sind vier Bodhisattvas und mittig in Koralle Amithba Buddha zu sehen. Die umlaufende Leiste ist mit den acht Glückssymbolen geschmückt. Auf der Hinterseite sind Chakrasambra (Lapislazuli) und Mahakalas (Koralle und Türkis) zu sehen. Darüber schwebend sechs weiße und blaue Wolken, oben eine Blumenranke. Die eingezogenen Seiten der Kassette werden von zwei Griffen, Blumenranken und Abbildungen von dem sogenannten Norbu, einem Reichtum und Wohlstand symbolisierenden Juwel, geschmückt. Die Ecken zeigen die acht Puja Devis auf Wolken.
Filigranarbeit
Worum handelt es sich bei einer Silberfiligranarbeit? Das deutsche Wort Filigran stammt vom Lateinischen „filum“, welches „Faden“ benennt, sowie „Granum“, was übersetzt „Korn“ bedeutet. Bezeichnet wird damit ein Zierwerk, bestehend aus feinem, oft kordiertem oder gekordeltem Gold- bzw. Silberdraht.[2] Bei dem Objekt des Monats wurde Silberdraht verwendet, welcher zu einem spiralförmigen Muster gestaltet und ornamental auf einem Untergrund angebracht wurde. Bekannt ist diese Technik bereits seit der Karolingerzeit im Frühmittelalter, die heute gebräuchliche Arbeitsweise wurde jedoch im 17. Jahrhundert entwickelt. Für die Hauptlinien wird üblicherweise relativ schwerer, quadratischer oder rechteckiger Draht verwendet, für feine und detaillierte Stellen werden zwei dünne Fäden zusammengedreht und flach gerollt. Diese Teilstücke werden schließlich kombiniert und in einer Gesamtkomposition zusammengelötet.[3]
Die Gottheiten
Amithba Buddha (in Ostasien Amida genannt) ist der historisch älteste der fünf transzendenten Buddhas und gilt als „der von unermesslichem Glanz“. Er gehört zu den am meisten verehrten Buddhagestalten und steht im Mittelpunkt unseres Objekts des Monats. Wirft man einen Blick auf die nepalesische Prunkkassette, so stellt man fest, dass seine Körperfarbe rot dargestellt ist. Die Farbe Rot soll auf die im Westen untergehende Sonne verweisen, denn dort waltet er über das Zwischenparadies Sukvhavati, also „das Glückvolle“.[4] Da es als unmöglich galt, alleine den irdischen Verstrickungen zu entkommen, hoffte man auf die Gnade von Amithba und die Wiedergeburt im westlichen Paradies, welches jedoch nicht als real existierende Lokalität, sondern als Bewusstseinszustand zu verstehen ist. Besonders im 11. Jahrhundert erfuhr der Kult des Buddha Amitbha Zulauf.[5]
Bei Khadchery handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Form des transzendenten Bodhisattva Avalokitesvara. Sein Name bedeutet „der Herr der (mitleidvoll) herabgesehen hat“. Er ist der bedeutungsvollste Bodhisattva, für einige Bekenner ist er die wichtigste Gestalt des buddhistischen Pantheons. Seine Grundeigenschaft ist das Mitleid, denn seine Hilfsbereitschaft kennt keine physischen Grenzen. Wann immer ein Hilferuf erschallt, eilt er zu Hilfe. Sein Mitleid ist jedoch nicht nur auf die Menschenwelt begrenzt, auch die Reiche der Götter, Titanen, Tiere, Geister und Höllenwesen können auf den Beistand und die Linderung ihres Leides durch Avalokitesvara zählen. Seine Gestaltenvielfalt ist nahezu unerschöpflich, weshalb sich in der nepalesischen Kunst 130 verschiedene Formen nachweisen lassen.[6]
Prinzipiell könnte jeder Mensch, der das Wohl anderer über sein eigenes stellt, als Bodhisattva bezeichnet werden. Meist sind damit jedoch Wesen, die die Heiligkeit und Erlösung verwirklicht haben, gemeint. Sie können jedoch erst ins Jenseits eingehen, wenn jeder Mensch erlöst ist. Daher bleiben sie aus Mitleid freiwillig auf der Welt und nehmen anderen ihre Leidesbürde ab. Bodhisattvas zeichnen sich dadurch aus, dass sie frei von Naturgesetzen agieren und jede beliebige Gestalt annehmen können. Da sie über einen unerschöpflichen Schatz an religiösem Verdienst verfügen, können sie jedem Bedürftigen davon abgeben.[7] Als Puja Devis werden acht weibliche Bodhisattvas, auch als „offering goddesses“ bekannt, bezeichnet.[8]
Die Weiße Tara wird Usnisavijaya genannt, was so viel wie „die durch den Schädelwulst (des Buddha) Siegreiche“ bedeutet. Die dreiköpfige und achtarmige Hüterin der Buddhaweisheit wird auch als „Mutter aller Buddhas“ bezeichnet. Jedes ihrer drei Gesichter verfügt über ein Stirnauge. Die Grüne Tara, als Syamatara bekannt, gilt als Schützerin vor allen Gefahren.[9]
Der vierköpfige und zwölfarmige Chakramsavara datiert ins 8. Jahrhundert, gilt als derjenige, „der das Rad (der Wiedergeburt) anhält“. Bekleidet wird er von einem Tigerschurz, auf seinem Haupt trägt er eine Schädelkrone. [10]
Vajradhara, der „Halter des Vajra“, hält die Hände vor der Brust gekreuzt. Dadurch gelangt der männliche Vajra auf die linke, weibliche Körperseite und die weibliche Glocke auf die rechte, männliche Seite. Die Vajra bezeichnet das Donnerkeilzepter, welches mit dem Unzerstörbarem und ewig Absolutem in Verbindung gebracht wird. Es steht meist für das männliche Prinzip, im Gegensatz zum weiblichen Prinzip mit dem Symbol der Glocke. Die Kreuzungsgeste des Vajradharas deutet das Glückserlebnis in der Vereinigung der Gegensätze an.[11]
Die Schutzgottheit Mahakala ist bekannt als „der Große Schwarze“ und gekennzeichnet durch seine zornvolle Erscheinungsform. Die heiligen Texte und die praktizierenden Gläubigen werden von ihm geschützt.[12]
Die acht glückbringenden Zeichen
Die acht glückbringenden Zeichen sind im tibetischen Leben allgegenwärtig. Ihren Ursprung fanden sie im wichtigsten Moment des historischen Buddhas, als nach der Nacht unter dem Bodhi-Baum der Asketen-Prinz sein Ziel erreichte und himmlische Wesen jubelnd mit Geschenken herbeieilten. Diese Geschenke werden symbolisch bewahrt und finden sich auf Schmuckstücken, als Dekoration auf etlichen Alltagsgenständen und auf dem Objekt des Monats. Dabei handelt es sich um den kostbaren Schirm (Tschattra), welcher Zeichen königlicher Würde ist und vor allem Übel schützen soll, zwei goldene Fische (Matsya), welche spirituelle Befreiung ausdrücken und Zeichen des indischen Herrn des Universums sind, das heilige Gefäß (Kalascha), welches spirituelle Juwelen und heiliges Wasser enthält, den Lotos (Padma), welcher Reinheit symbolisiert, die weiße Tritonmuschel (Schankha), welche auch den Namen „Siegestrompete“ trägt, den unendlichen Knoten (Schrivatsa), welcher Liebe und Ewigkeit bekundet, das große Banner (Dhvadscha), das die Macht der buddhistischen Lehre sowie den Sieg des wahren Gesetzes verkörpert, und das goldene Rad (Tschakra), welches die Einheit der Dinge darstellen soll.[13]
Tierwelt
Auf der nepalesischen Prunkkassette sind einige Tiere zu sehen, nämlich der Löwe, der Tiger, die Taube, der Drache, die Fische und der Garudha. Sowohl gefürchtet als auch mit großem Respekt behandelt wird der Tiger, welcher eine wesentliche Rolle in der Mythologie spielt. Natürlich wird er mit Kraft und Stärke assoziiert, auf seinem Fell wurde in Indien und Tibet während der Meditation Platz genommen. Im tantrischen Buddhismus repräsentiert der Tiger die Transformation von Wut in Weisheit. Außerdem soll er die meditierende Person vor äußerlichem Schaden bewahren.[14] Der Drache symbolisiert Autorität und Macht, typischerweise jene von Königen und Herrschern. Während der Drache im Westen als bösartige und angsteinflößende Gestalt gilt, ist der asiatische Drache eine gütige Kreatur, welche nicht mit Feuer, sondern mit Wasser assoziiert wird.[15] Der mythische Vogel mit geschwungenen Hörnern und einem Juwel auf dem Kopf, welcher als Garudha bekannt ist, symbolisiert das aktivste der fünf Elemente: Das Feuer. Dieses mächtige Vogelwesen gilt als Bezwinger der Nagas, also jener Schlangenwesen, die aus einem unterirdischen Wasserland stammen und als Verursacher von Missständen wie Hagelstürme oder Hautkrankheiten gelten. Daher wird der Garudha oft mit einer Schlange im Schnabel oder in den Händen — der Garudha besitzt nämlich ein Paar Menschenarme — dargestellt.[16] Doch welche Bedeutung kommt dem Löwen zu? Eine altindische Legende besagt, ein Löwe habe vor langer Zeit, als eine Löwin tote Löwenkinder zur Welt brachte, diese mit seinem Gebrüll zum Leben erweckt. Aus diesem Grund ist der brüllende Löwe Symbol der Belebung und geistigen Erweckung. Er vermag es, Menschen durch Aufhebung ihrer Unwissenheit zur Weisheit zu führen.[17]
Text: Hannah Konrad, BA
Literatur
Buckley, Chris: Tibetan Furniture. London 2005.
Fremantle, Francesca: Luminous Emptiness: A Guide to the Tibetan Book of the Dead. Massachusetts 2001.
Hartmann, Peter W.: Kunstlexikon. Wien 1996.
Levenson, Claude B.: Symbole des Buddhismus. Augsburg 1999.
Massonaud, Chantal: Nepal. In: Asien. Handbuch der Formen- und Stilkunde. Kohlhammer 1980.
Namdak, Lopön T.: Der heilende Garuda. Schweiz 1998.
Riisven, Ved Thale: Om filigran. Katalog til en Utstillling av Filigran i norsk Eie. Oslo 1959.
Scheck, Frank R.: Buddhismus. Köln 2002.
Schumann, Hans W.: Buddhistische Bilderwelt. München 1986.
Wilpert, Clara B.: Tibet. Buddhas Götter Heilige. München 2001.
[1] Vgl. C. Massonaud: Nepal. In: Asien. Handbuch der Formen- und Stilkunde. Kohlhammer 1980, S. 70.
[2] Vgl. P.W. Hartmann: Kunstlexikon. Wien 1996, S. 478.
[3] Vgl. V.T. Riisven: Om filigran. Katalog til en Utstillling av Filigran i norsk Eie. Oslo 1959, S. 99- 100.
[4] Vgl. H.W. Schumann: Buddhistische Bilderwelt. München 1986, S. 92.
[5] Vgl. F.R. Scheck: Buddhismus. Köln 2002, S. 141.
[6] Vgl. H.W. Schumann: Buddhistische Bilderwelt. München 1986, S. 121-122.
[7] Vgl. Ebda., S. 26.
[8] Vgl. F. Fremantle: Luminous Emptiness: A Guide to the Tibetan Book of the Dead. Massachusetts 2001, S. 269.
[9] Vgl. H.W. Schumann: Buddhistische Bilderwelt. München 1986, S. 152-153.
[10] Vgl. Ebda., S. 210.
[11] Vgl. H.W. Schumann: Buddhistische Bilderwelt. München 1986, S. 40 u. 108.
[12] Vgl. C.B. Wilpert: Tibet. Buddhas Götter Heilige. München 2001, S. 157.
[13] Vgl. C.B. Levenson: Symbole des Buddhismus. Augsburg 1999, S. 59.
[14] Vgl. C. Buckley: Tibetan Furniture. London 2005, S. 81.
[15] Vgl. ebda., S. 72.
[16] Vgl. L.T. Namdak: Der heilende Garuda. Schweiz 1998, S. 14.
[17] Vgl. Vgl. H.W. Schumann: Buddhistische Bilderwelt. München 1986, S. 144.
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