Die anmutige Prunkschatulle umgibt eine betörende Eleganz. Hergestellt Mitte des 17. Jahrhunderts in Augsburg, überzeugt die Schatulle mit ihrem Korpus aus Eiche und verschiedenen anderen Hölzern. Das Objekt zeichnet aus, dass der Korpus mit orange-braunem Schildpatt verziert ist. Dekorative Flammleisten (Zierleisten mit flammenähnlichem Dekor) mit Silberbeschlag umspielen die Kassette, während acht Felder aus getriebenen Silberarbeiten Einblick in verschiedene Szenen der antiken Mythen geben.
Der Deckel des Objekts (Vgl. Abb. 2) verfügt über mehrere Schubladen. Zwei davon finden sich mittig auf der Vorderseite, eine auf der rechten Seite des Deckels. Auf der linken Seite ist eine Schublade angedeutet, welche sich jedoch nicht öffnen lässt. Der Sockel der Kassette ist ebenfalls mit drei Schubladen ausgestattet, welche mittig, sowie links und rechts platziert wurden. Öffnet man den Deckel, offenbart sich das Innere des Objekts, welches mit rotem Stoff ausgelegt wurde. Zu sehen ist ein großes Fach und vier kleine Fächer, in welchen verschiedenste Kostbarkeiten aufbewahrt werden können. Manche der Fächer sind etwas abgenutzt, was darauf schließen lässt, dass die Prunkschatulle in Gebrauch war.
Ikonographie
Auf der Vorderseite (Vgl. Abb. 4) des Objekts ist ganz links eine Nereide mit Fruchtschale und Horn zu sehen. Neben ihr in der Mitte thront Venus in einer Muschel. Zwei Amoretten (Amorette = Bezeichnung für Mehrfachdarstellungen des Liebesgottes Amor) und ein Meeresungeheuer leisten ihr Gesellschaft, während rechts daneben ein Faun eine Ährengarbe trägt. Ist von einer Nereide die Sprache, so handelt es sich dabei um eine der fünfzig lieblichen Töchter des Gottes Nereus, welcher auch als Meergreis bekannt ist. Die Nereiden sind schöne Meernymphen, welche sich gerne um Triton scharen, vor allem wenn er auf seinem Muschelhorn musiziert.[1] Die schöne Venus (griechisch Aphrodite) ist sicher vielen Lesern und Leserinnen ein Begriff. Als Göttin der Liebe gehörte sie zu den mächtigsten Gottheiten und ist häufig mit ihrem Sohn Amor (griechisch Eros) abgebildet. Ihre große Macht besteht darin, Götter, wie auch Sterbliche in den Bann der Liebe zu ziehen – ganz egal, ob diese es selbst überhaupt wollen.[2] Homer berichtet, dass Venus die Tochter des Zeus und der Dione sei. Nach Hesiod hingegen sei sie aus dem Schaum entsprungen, der sich um die abgeschnittenen Genitalien des Uranos ansammelte, als diese über das Meer zur Insel Zypern trieben. So wurde Venus von den Griechen oftmals „Kypris“ genannt, weil sie auf dieser Insel nach ihrer Geburt im Meer ans Land emporgestiegen sei.[3] Bei Faunen handelt es sich um Waldgeister in Menschengestalt, welche mit Tierattributen ausgestattet sind. Oftmals verfügen sie über Pferdeschwänze, spitze Ohren, kleine Hörner oder Bocksfüße. Besonders gerne verfolgen die ausgelassenen und lüsternen Faunen die Nymphen.[4]
Die Szene erinnert an das Gemälde „Triumph der Venus“ von François Boucher (1703-1770), auf dem die maritime Geburt der Venus dargestellt wird. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Kunstwerk um die Vorlage für die am Objekt des Monats zu findende Darstellung handelt. Interessierte können das Gemälde von François Boucher in der Datenbank „The Warburg Institute Iconographic Database“ betrachten.[5] Dort finden sich auch zahlreiche weitere Darstellung des maritimen Triumph der Venus, unter anderem von Francesco del Cossa, der sich bereits zwischen 1466 und 1460 künstlerisch dieser Szene widmete.
Auf der Rückseite (Vgl. Abb. 5) ist mittig Triton abgebildet, links neben ihm bläst eine Nereide das Tritonshorn. Daneben reitet eine Amorette auf einem Meeresungeheuer. Links und rechts wird die Szenerie von zwei Nereiden mit Früchten ergänzt. Die Nereiden, freundliche Wassernymphen, verfügen auf unserem Objekt des Monats über libellenartige Flügel und einen fischähnlichen Schweif. Gerne erheitern sie die Seeleute durch Spiel und Tanz, oder helfen ihnen bei Seenot.[6] Bei Triton handelt es sich um den Sohn von Amphitrite und Neptun, der neben Zeus als einer der mächtigsten der olympischen Götter bekannt ist – immerhin ist er der Gott des Meeres. Triton zeichnet sich dadurch aus, dass er unterhalb der Körpermitte den Leib eines Fisches hat und oftmals mit einem Muschelhorn dargestellt wird.[7] Wohnhaft ist Triton gemeinsam mit seinen Eltern in einem goldenen Palast am tiefen Grund des Meeres. Die Mythologie besagt, dass alle Ungetüme des Meeres erschrecken und sich verbergen, sobald Triton die Muschel bläst. Mit Nereiden umgibt sich Triton hingegen gerne und verhält sich mit ihnen gesellig und neckisch.[8]
Rund um die Prunkschatulle sind weitere Abbildungen (Vgl. Abb. 6-9) von männlichen Mischwesen zu sehen. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um junge Tritonen handelt, weil sie halb Mensch, halb Fisch sind. Die Wesen verfügen über verschiedene Attribute. Links vorne ist neben dem Geschöpf eine Fackel abgebildet, rechts vorne bläst die Figur in ein Tritonshorn. Hinten hingegen wird den Tritonen von einer Fruchtschale (links) und einer Muschel (rechts) Gesellschaft geleistet. Gemeinsam bilden sie eine allegorische Darstellung der, bis ins 17. Jahrhundert die Chemie bestimmenden, Elemente: Feuer, Erde, Wasser und Luft.
Auf der linken und rechten Seite der Prunkschatulle findet sich je eine weitere mythologische Szenerie. Bei dem Paar auf der linken Seite (Vgl. Abb. 10) könnte es sich um Neptun und seine Frau Amphitrite, aber auch um Okeanos und seine Gemahlin Tethys handeln. Dass Neptuns Dreizack in der Abbildung fehlt, weist auf die Darstellung von Okeanos (dem Flussgott) und Tethys (der Göttin des Meeres) hin. Der Flussgott umarmt seine Gattin, während er eine Muschel in die Höhe hält. Tethys hingegen hebt einen Kelch zum Toast in die Luft. Daneben spielen zwei Amoretten.
Auf der rechten Seite (Vgl. Abb. 11) ist Venus zu sehen, die es sich unter einem Baum gemütlich gemacht hat. Links neben ihr ist ein Amor abgebildet, der von einer Ziege an der Hand geführt wird. Amor reicht Venus einen Pfeil, die ihre Hand nach ihm ausstreckt. In der Datenbank „The Warburg Institute Iconographic Database“ finden sich vier Vorlagen für die Darstellung, unter anderem von Benedetto Lutti (ca. 1700, zu sehen im West Wycombe Park) oder Matthias Gerung (ca. 1550, unbekannter Standort).[9]
Materialien und Technik
Schildpatt [von niederländisch schildpad = Schildkröte (zu padde = Kröte)][10] oder auch Schildkrott bezeichnet ein tierisches Produkt, nämlich das hornartige Material, das auf den Knochenpanzern von Meeresschildkröten vorkommt. Wie auch Horn, Fingernägel oder Haare gehört es in die Klasse der Keratinmaterialien. Dank seiner Resistenz ist Schildpatt an kunsthandwerklichen Objekten des 17. und 18. Jahrhunderts meist sehr gut erhalten. Es verhält sich ähnlich wie thermoplastischer Kunststoff, ist etwas elastisch, formstabil, druckfest, bruchfest und leicht. Platten von Schildpatt können aufeinander oder aneinander verschweißt werden, wodurch eine Vielzahl von Gegenständen wie Dosen, Brillen, Haarkämme oder Löffel hergestellt werden konnten. Die Farben, Strukturen und die Helligkeit des Schildpatts variieren je nach Sorte, aber auch innerhalb der Sorten gibt es eine große Vielfalt. Meist wurde Schildpatt von der echten Karettschildkröte (eretmochelys imbricata), der unechten Karettschildkröte (caretta caretta) oder der Suppenschildkröte (chelonia mydas) gewonnen.[11]
In Kunst- und Wunderkammern zählte Schildpatt zu den sogenannten „Naturalia“. Dabei handelt es sich um Materialien, die die Natur selbst hervor bringt, vor allem Seltenes wie Bernstein, Perlen, Korallen, Federn oder eben Schildkrötenpanzer. Neben den „Naturalia“ gibt es auch die sogenannten „Artificialia“, also Erzeugnisse von menschlichem Geist wie Messgeräte, Maschinen oder Instrumente, aber auch „Mirabilia“, also Absurditäten der Natur, wie Rehköpfe mit phantastischen Geweihen oder Materialien, denen eine therapeutische oder aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wird.[12]
Aufgrund seiner Seltenheit gehörte Schildpatt im 17. und 18. Jahrhundert zu den kostspieligsten Materialien. Aus diesem Grund ließen sich vor allem höfische Auftraggeber kleinformatige Luxusgegenstände, wie Schalen oder Medaillons, anfertigen.[13] Beachtet man die Größe unseres Objekts des Monats wird also schnell klar, um welch eine wertvolle Prunkschatulle es sich dabei handelt.
Weil Schildpatt teuer und nur in begrenzter Menge vorhanden ist, versuchte man es ab dem 19. Jahrhundert durch günstigen Kunststoff zu ersetzen. 1870 kam es daher zur Entwicklung des sogenannten Celluloids, welches den Naturstoff imitiert.[14] Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass es sich beim Schildpattverarbeiter einmal um einen Lehrberuf gehandelt hat.[15]
Die Gewinnung von Schildpatt kann durchaus als grausam bezeichnet werden. So werden die Tiere entweder getötet oder in lebendem Zustand über Feuer aufgehängt und so lange geröstet, bis sich die Hornplatten ablösen. Danach wird das Schildpatt durch Schaben oder Abschleifen mit Glas- oder Sandpapier gereinigt. Im erwärmtem Zustand werden die Platten folgend zwischen ebenfalls erwärmten Metallbacken einer Schraubenpresse leicht gepresst und danach abgekühlt. So verlieren die Platten ihre natürliche Wölbung.[16]
Heute sind Handel und Einfuhr von Schildpatt verboten, wobei Waren, die sich vor 1975 im Handel befanden eine Ausnahme bilden. Diese können mit Bewilligungen und Kontrolle eingeführt werden. Der Grund dafür ist, dass Meeresschildkröten weltweit gefährdet und teilweise sogar vom Aussterben bedroht sind. Dies ist auf den Handel mit Schildpatt, sowie dem Verzehr der Eier und des Fleisches der Meeresschildkröten zurückzuführen. Zur Gefährdung der Populationen trägt auch die touristische Erschließung der Lebensräume der Tiere bei, wodurch ihre Nistplätze zerstört werden. Außerdem verenden Meeresschildkröten oftmals als Beifang in Fischernetzen.[17]
Das wilde Meer und seine Liebenden
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Thema des Meeres auf unterschiedliche Weisen durch die Prunkschatulle umrissen wird. Nicht nur stammt das Schildpatt von im Meer lebenden Schildkröten, auch die mythologischen Darstellungen drehen sich um Meeresgestalten, seien es Meeresgötter, -ungeheuer, oder -nymphen. Dabei kontrastieren sich Darstellungen von wilden, angsteinflößenden Gestalten, wie den furchtbaren Ungeheuern sowie mächtigen Göttern und lieblichen, zarten Wesen, wie den gutmütigen Nereiden. Die Prunkschatulle erzählt von Fruchtbarkeit und Liebe, von dem Triumph der schönen Venus und ihren Begleitern. Gemeinsam wachen die Wesen über die wunderbaren Kostbarkeiten, die in der wertvollen Prunkschatulle aufbewahrt werden können.
Text: Hannah Konrad, BA
Literatur
Dommermuth-Gudrich, Gerold: 50 Klassiker Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike. Hildesheim 2000.
Freyer, Ulli: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58, S. 653-658.
Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Hamburg 1980.
Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Essen 1896.
Laue, Georg: Wunder kann man Sammeln. Kunstkammer Georg Laue. München 1999.
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7. Leipzig 1909.
Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie. Stuttgart 2012.
[11] Vgl. Ulli Freyer: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58, S. 653-658, hier S. 653-654. Online unter: http://www.boullemarqueterie.ch/img/3_Barockberichte.pdf (Zugriff 12.02.2021)
[12] Vgl. Georg Laue: Wunder kann man Sammeln. Kunstkammer Georg Laue. München 1999, S. 7-8.
[14] Vgl. Ulli Freyer: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58. S. 653-658, hier S. 653. Online unter: http://www.boullemarqueterie.ch/img/3_Barockberichte.pdf (Zugriff 12.02.2021)
Die Prunkschatulle mit Schildpatt
Die Prunkschatulle:
Inventarnummer: 3551
Maße: 43 x 30 x 21cm
Das Objekt
Die anmutige Prunkschatulle umgibt eine betörende Eleganz. Hergestellt Mitte des 17. Jahrhunderts in Augsburg, überzeugt die Schatulle mit ihrem Korpus aus Eiche und verschiedenen anderen Hölzern. Das Objekt zeichnet aus, dass der Korpus mit orange-braunem Schildpatt verziert ist. Dekorative Flammleisten (Zierleisten mit flammenähnlichem Dekor) mit Silberbeschlag umspielen die Kassette, während acht Felder aus getriebenen Silberarbeiten Einblick in verschiedene Szenen der antiken Mythen geben.
Der Deckel des Objekts (Vgl. Abb. 2) verfügt über mehrere Schubladen. Zwei davon finden sich mittig auf der Vorderseite, eine auf der rechten Seite des Deckels. Auf der linken Seite ist eine Schublade angedeutet, welche sich jedoch nicht öffnen lässt. Der Sockel der Kassette ist ebenfalls mit drei Schubladen ausgestattet, welche mittig, sowie links und rechts platziert wurden. Öffnet man den Deckel, offenbart sich das Innere des Objekts, welches mit rotem Stoff ausgelegt wurde. Zu sehen ist ein großes Fach und vier kleine Fächer, in welchen verschiedenste Kostbarkeiten aufbewahrt werden können. Manche der Fächer sind etwas abgenutzt, was darauf schließen lässt, dass die Prunkschatulle in Gebrauch war.
Ikonographie
Auf der Vorderseite (Vgl. Abb. 4) des Objekts ist ganz links eine Nereide mit Fruchtschale und Horn zu sehen. Neben ihr in der Mitte thront Venus in einer Muschel. Zwei Amoretten (Amorette = Bezeichnung für Mehrfachdarstellungen des Liebesgottes Amor) und ein Meeresungeheuer leisten ihr Gesellschaft, während rechts daneben ein Faun eine Ährengarbe trägt. Ist von einer Nereide die Sprache, so handelt es sich dabei um eine der fünfzig lieblichen Töchter des Gottes Nereus, welcher auch als Meergreis bekannt ist. Die Nereiden sind schöne Meernymphen, welche sich gerne um Triton scharen, vor allem wenn er auf seinem Muschelhorn musiziert.[1] Die schöne Venus (griechisch Aphrodite) ist sicher vielen Lesern und Leserinnen ein Begriff. Als Göttin der Liebe gehörte sie zu den mächtigsten Gottheiten und ist häufig mit ihrem Sohn Amor (griechisch Eros) abgebildet. Ihre große Macht besteht darin, Götter, wie auch Sterbliche in den Bann der Liebe zu ziehen – ganz egal, ob diese es selbst überhaupt wollen.[2] Homer berichtet, dass Venus die Tochter des Zeus und der Dione sei. Nach Hesiod hingegen sei sie aus dem Schaum entsprungen, der sich um die abgeschnittenen Genitalien des Uranos ansammelte, als diese über das Meer zur Insel Zypern trieben. So wurde Venus von den Griechen oftmals „Kypris“ genannt, weil sie auf dieser Insel nach ihrer Geburt im Meer ans Land emporgestiegen sei.[3] Bei Faunen handelt es sich um Waldgeister in Menschengestalt, welche mit Tierattributen ausgestattet sind. Oftmals verfügen sie über Pferdeschwänze, spitze Ohren, kleine Hörner oder Bocksfüße. Besonders gerne verfolgen die ausgelassenen und lüsternen Faunen die Nymphen.[4]
Die Szene erinnert an das Gemälde „Triumph der Venus“ von François Boucher (1703-1770), auf dem die maritime Geburt der Venus dargestellt wird. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Kunstwerk um die Vorlage für die am Objekt des Monats zu findende Darstellung handelt. Interessierte können das Gemälde von François Boucher in der Datenbank „The Warburg Institute Iconographic Database“ betrachten.[5] Dort finden sich auch zahlreiche weitere Darstellung des maritimen Triumph der Venus, unter anderem von Francesco del Cossa, der sich bereits zwischen 1466 und 1460 künstlerisch dieser Szene widmete.
Auf der Rückseite (Vgl. Abb. 5) ist mittig Triton abgebildet, links neben ihm bläst eine Nereide das Tritonshorn. Daneben reitet eine Amorette auf einem Meeresungeheuer. Links und rechts wird die Szenerie von zwei Nereiden mit Früchten ergänzt. Die Nereiden, freundliche Wassernymphen, verfügen auf unserem Objekt des Monats über libellenartige Flügel und einen fischähnlichen Schweif. Gerne erheitern sie die Seeleute durch Spiel und Tanz, oder helfen ihnen bei Seenot.[6] Bei Triton handelt es sich um den Sohn von Amphitrite und Neptun, der neben Zeus als einer der mächtigsten der olympischen Götter bekannt ist – immerhin ist er der Gott des Meeres. Triton zeichnet sich dadurch aus, dass er unterhalb der Körpermitte den Leib eines Fisches hat und oftmals mit einem Muschelhorn dargestellt wird.[7] Wohnhaft ist Triton gemeinsam mit seinen Eltern in einem goldenen Palast am tiefen Grund des Meeres. Die Mythologie besagt, dass alle Ungetüme des Meeres erschrecken und sich verbergen, sobald Triton die Muschel bläst. Mit Nereiden umgibt sich Triton hingegen gerne und verhält sich mit ihnen gesellig und neckisch.[8]
Rund um die Prunkschatulle sind weitere Abbildungen (Vgl. Abb. 6-9) von männlichen Mischwesen zu sehen. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um junge Tritonen handelt, weil sie halb Mensch, halb Fisch sind. Die Wesen verfügen über verschiedene Attribute. Links vorne ist neben dem Geschöpf eine Fackel abgebildet, rechts vorne bläst die Figur in ein Tritonshorn. Hinten hingegen wird den Tritonen von einer Fruchtschale (links) und einer Muschel (rechts) Gesellschaft geleistet. Gemeinsam bilden sie eine allegorische Darstellung der, bis ins 17. Jahrhundert die Chemie bestimmenden, Elemente: Feuer, Erde, Wasser und Luft.
Auf der linken und rechten Seite der Prunkschatulle findet sich je eine weitere mythologische Szenerie. Bei dem Paar auf der linken Seite (Vgl. Abb. 10) könnte es sich um Neptun und seine Frau Amphitrite, aber auch um Okeanos und seine Gemahlin Tethys handeln. Dass Neptuns Dreizack in der Abbildung fehlt, weist auf die Darstellung von Okeanos (dem Flussgott) und Tethys (der Göttin des Meeres) hin. Der Flussgott umarmt seine Gattin, während er eine Muschel in die Höhe hält. Tethys hingegen hebt einen Kelch zum Toast in die Luft. Daneben spielen zwei Amoretten.
Auf der rechten Seite (Vgl. Abb. 11) ist Venus zu sehen, die es sich unter einem Baum gemütlich gemacht hat. Links neben ihr ist ein Amor abgebildet, der von einer Ziege an der Hand geführt wird. Amor reicht Venus einen Pfeil, die ihre Hand nach ihm ausstreckt. In der Datenbank „The Warburg Institute Iconographic Database“ finden sich vier Vorlagen für die Darstellung, unter anderem von Benedetto Lutti (ca. 1700, zu sehen im West Wycombe Park) oder Matthias Gerung (ca. 1550, unbekannter Standort).[9]
Materialien und Technik
Schildpatt [von niederländisch schildpad = Schildkröte (zu padde = Kröte)][10] oder auch Schildkrott bezeichnet ein tierisches Produkt, nämlich das hornartige Material, das auf den Knochenpanzern von Meeresschildkröten vorkommt. Wie auch Horn, Fingernägel oder Haare gehört es in die Klasse der Keratinmaterialien. Dank seiner Resistenz ist Schildpatt an kunsthandwerklichen Objekten des 17. und 18. Jahrhunderts meist sehr gut erhalten. Es verhält sich ähnlich wie thermoplastischer Kunststoff, ist etwas elastisch, formstabil, druckfest, bruchfest und leicht. Platten von Schildpatt können aufeinander oder aneinander verschweißt werden, wodurch eine Vielzahl von Gegenständen wie Dosen, Brillen, Haarkämme oder Löffel hergestellt werden konnten. Die Farben, Strukturen und die Helligkeit des Schildpatts variieren je nach Sorte, aber auch innerhalb der Sorten gibt es eine große Vielfalt. Meist wurde Schildpatt von der echten Karettschildkröte (eretmochelys imbricata), der unechten Karettschildkröte (caretta caretta) oder der Suppenschildkröte (chelonia mydas) gewonnen.[11]
In Kunst- und Wunderkammern zählte Schildpatt zu den sogenannten „Naturalia“. Dabei handelt es sich um Materialien, die die Natur selbst hervor bringt, vor allem Seltenes wie Bernstein, Perlen, Korallen, Federn oder eben Schildkrötenpanzer. Neben den „Naturalia“ gibt es auch die sogenannten „Artificialia“, also Erzeugnisse von menschlichem Geist wie Messgeräte, Maschinen oder Instrumente, aber auch „Mirabilia“, also Absurditäten der Natur, wie Rehköpfe mit phantastischen Geweihen oder Materialien, denen eine therapeutische oder aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wird.[12]
Aufgrund seiner Seltenheit gehörte Schildpatt im 17. und 18. Jahrhundert zu den kostspieligsten Materialien. Aus diesem Grund ließen sich vor allem höfische Auftraggeber kleinformatige Luxusgegenstände, wie Schalen oder Medaillons, anfertigen.[13] Beachtet man die Größe unseres Objekts des Monats wird also schnell klar, um welch eine wertvolle Prunkschatulle es sich dabei handelt.
Weil Schildpatt teuer und nur in begrenzter Menge vorhanden ist, versuchte man es ab dem 19. Jahrhundert durch günstigen Kunststoff zu ersetzen. 1870 kam es daher zur Entwicklung des sogenannten Celluloids, welches den Naturstoff imitiert.[14] Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass es sich beim Schildpattverarbeiter einmal um einen Lehrberuf gehandelt hat.[15]
Die Gewinnung von Schildpatt kann durchaus als grausam bezeichnet werden. So werden die Tiere entweder getötet oder in lebendem Zustand über Feuer aufgehängt und so lange geröstet, bis sich die Hornplatten ablösen. Danach wird das Schildpatt durch Schaben oder Abschleifen mit Glas- oder Sandpapier gereinigt. Im erwärmtem Zustand werden die Platten folgend zwischen ebenfalls erwärmten Metallbacken einer Schraubenpresse leicht gepresst und danach abgekühlt. So verlieren die Platten ihre natürliche Wölbung.[16]
Heute sind Handel und Einfuhr von Schildpatt verboten, wobei Waren, die sich vor 1975 im Handel befanden eine Ausnahme bilden. Diese können mit Bewilligungen und Kontrolle eingeführt werden. Der Grund dafür ist, dass Meeresschildkröten weltweit gefährdet und teilweise sogar vom Aussterben bedroht sind. Dies ist auf den Handel mit Schildpatt, sowie dem Verzehr der Eier und des Fleisches der Meeresschildkröten zurückzuführen. Zur Gefährdung der Populationen trägt auch die touristische Erschließung der Lebensräume der Tiere bei, wodurch ihre Nistplätze zerstört werden. Außerdem verenden Meeresschildkröten oftmals als Beifang in Fischernetzen.[17]
Das wilde Meer und seine Liebenden
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Thema des Meeres auf unterschiedliche Weisen durch die Prunkschatulle umrissen wird. Nicht nur stammt das Schildpatt von im Meer lebenden Schildkröten, auch die mythologischen Darstellungen drehen sich um Meeresgestalten, seien es Meeresgötter, -ungeheuer, oder -nymphen. Dabei kontrastieren sich Darstellungen von wilden, angsteinflößenden Gestalten, wie den furchtbaren Ungeheuern sowie mächtigen Göttern und lieblichen, zarten Wesen, wie den gutmütigen Nereiden. Die Prunkschatulle erzählt von Fruchtbarkeit und Liebe, von dem Triumph der schönen Venus und ihren Begleitern. Gemeinsam wachen die Wesen über die wunderbaren Kostbarkeiten, die in der wertvollen Prunkschatulle aufbewahrt werden können.
Text: Hannah Konrad, BA
Literatur
Dommermuth-Gudrich, Gerold: 50 Klassiker Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike. Hildesheim 2000.
Freyer, Ulli: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58, S. 653-658.
Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Hamburg 1980.
Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Essen 1896.
Laue, Georg: Wunder kann man Sammeln. Kunstkammer Georg Laue. München 1999.
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7. Leipzig 1909.
Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie. Stuttgart 2012.
Online-Quellen:
Lexikon der Biologie: Schildpatt. Online unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/schildpatt/59230 (Zugriff: 22.02.2021)
Leopold Rössler: Schildpatt. Edelstein-Knigge. Online unter: http://www.beyars.com/edelstein-knigge/lexikon_443.html (Zugriff 12.02.2021)
WWF: Empfehlungen für Souvenirs. Schildpatt von Meeresschildkröten. Online unter: https://www.wwf.ch/de/souvenir-ratgeber/meeresschildkroetenfleisch (Zugriff 12.02.2021)
The Warburg Institute of Iconographic Database: Armor handing Arrows to Venus. Online unter: https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/subcats.php?cat_1=5&cat_2=43&cat_3=3&cat_4=395&cat_5=2137&cat_6=1654 (Zugriff: 12.03.2021).
Alle Abbildungen, außer Abb. 12 und Abb. 13, von Hannah Konrad.
Abbildungen:
Abb. 1: Die Prunkschatulle mit Schildpatt
Abb. 2: Die Prunkschatulle von oben mit geöffneten Laden
Abb. 3: Die Prunkschatulle in geöffnetem Zustand
Abb. 4: Der Triumph der Venus, vorne
Abb. 5: Mythologische Szene, hinten
Abb. 6: Mischwesen, vorne links mit Fackel
Abb. 7: Mischwesen, vorne rechts, mit Horn
Abb. 8: Mischwesen, hinten links, mit Früchten
Abb. 9: Mischwesen, hinten rechts, mit Muschel
Abb. 10: Okeanos und Tethys auf der linken Seite der Schatulle
Abb. 11: Venus und Amor auf der rechten Seite der Schatulle
Abb. 12: Die echte Karettschildkröte (eretmochelys imbricata). Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hawksbill_Sea_Turtle_(Eretmochelys_imbricata).jpg (Zugriff: 12.02.2021)
Abb. 13: Die Suppenschildkröte (chelonia mydas). Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chelonia_mydas,_atol%C3%B3n_de_Palmira.jpg (Zugriff: 12.02.2021)
Abb. 14: Die Hinterseite der Prunkschatulle
[1] Vgl. Friedrich Kurts: Handbuch der Mythologie. Essen 1896, S. 233.
[2] Vgl. Ebda., S. 274-280.
[3] Vgl. Edward Tripp: Reclams Lexikon der antiken Mythologie. Stuttgart 2012, S. 58.
[4] Vgl. Ebda., S. 474.
[5] Vgl. The Warburg Institute Iconographic Database: Triumph der Venus. Online unter: https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/record.php?record=16607 (Zugriff: 15.02.2021)
[6] Vgl. Herbert Hunger: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Hamburg 1980, S. 270.
[7] Vgl. Ebda., S. 227.
[8] Vgl. Friedrich Kurts: Handbuch der Mythologie. Essen 1896, S. 232.
[9] Vgl. The Warburg Institute of Iconographic Database: Armor handing Arrows to Venus. Online unter: https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/subcats.php?cat_1=5&cat_2=43&cat_3=3&cat_4=395&cat_5=2137&cat_6=1654 (Zugriff: 12.03.2021).
[10] Vgl. Lexikon der Biologie: Schildpatt. Online unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/schildpatt/59230 (Zugriff 22.02.2021)
[11] Vgl. Ulli Freyer: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58, S. 653-658, hier S. 653-654. Online unter: http://www.boullemarqueterie.ch/img/3_Barockberichte.pdf (Zugriff 12.02.2021)
[12] Vgl. Georg Laue: Wunder kann man Sammeln. Kunstkammer Georg Laue. München 1999, S. 7-8.
[13] Vgl. Ebda., S. 27.
[14] Vgl. Ulli Freyer: Das Material Schildpatt und seine Verwendung am Beispiel Pariser Pendulen. In: Barockberichte 57/58. S. 653-658, hier S. 653. Online unter: http://www.boullemarqueterie.ch/img/3_Barockberichte.pdf (Zugriff 12.02.2021)
[15] Vgl. Leopold Rössler: Schildpatt. Edelstein-Knigge. Online unter: http://www.beyars.com/edelstein-knigge/lexikon_443.html (Zugriff 12.02.2021)
[16] Vgl. Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7. Leipzig 1909, S. 695-696, hier S. 695.
[17] Vgl. WWF: Empfehlungen für Souvenirs. Schildpatt von Meeresschildkröten. Online unter: https://www.wwf.ch/de/souvenir-ratgeber/meeresschildkroetenfleisch (Zugriff 12.02.2021)