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Objekt des Monats August 2021

Der Sonne zugewandt – Die Nymphe Klytie

Einige Leute lieben es in der Sonne zu braten und wandern mit ihrem Handtuch Stück für Stück hinter ihren wärmenden Strahlen her. Auch unter den Pflanzen gibt es eine solche Sonnenanbeterin, die mit ihrer Blüte immer der Sonne folgt: Die Sonnenwende oder Heliotrop. Diese botanische Besonderheit wurde schon in der Antike beobachtet und aller Wahrscheinlichkeit nach erzählte man im Mythos von der unglücklichen Liebe der Nymphe Klytie zum Sonnengott Apollo (oder Helios) von der Pflanze. Auch in der Schell Collection kann man auf die sonnenverliebte Klytie treffen und zwar in Form einer wunderschönen Büste aus Eisenkunstguss. Das Objekt des Monats widmet sich nicht nur dem Exponat und seinem Vorbild aus Marmor, sondern auch der tragischen Geschichte von Klytie sowie den damit in Zusammenhang stehenden Blumen.

Das Objekt

Inv.-Nr. 2455, H: 21,5 cm

Abb. 1: Vorderansicht der Büste „Klytie“

Bei dem Exponat handelt es sich – wie eingangs bereits erwähnt – um eine ausdrucksstarke Büste aus Eisenkunstguss. (Abb. 1) Ob diese in der Gießerei Lauchhammer (Deutschland) oder in der Gießerei Kasli (Russland) gefertigt wurde bzw. wer als erster diese Büste gegossen hat, kann nicht eindeutig rekonstruiert werden. Bezüglich der dargestellten Frau gibt es mehrere Interpretationen in der Forschung. Eine Möglichkeit wäre eben eine Darstellung der Nymphe Klytie. Es zeigt eine junge Frau mit gewellten Haaren, deren Blick wehmütig nach unten geneigt ist. Sie scheint aus einem Kelch aus Blättern zu wachsen. Die Büste steht auf einem runden Podest, das mehrere Absätze aufweist. Datiert wird das Exponat auf das Ende des 19. Jh. Passenderweise wurde die Büste der sonnenverliebten Klytie in den Sommermonaten vor 15 Jahren für die Schell Collection erworben. In der Sonderausstellung „Donnerkeil und Dreizack“ 2017 konnte das wundervolle Objekt mit mythologischem Hintergrund eingehend betrachtet werden. Sein derzeitiger Platz befindet sich in einer Vitrine im zweiten Stock des Museums, wo sich Klytie in guter Gesellschaft gemeinsam mit weiteren Gussobjekten befindet, die griechische Gottheiten und Helden darstellen.

Das Vorbild aus Marmor

Bereits die Überschrift lässt vermuten, dass die sogenannte Büste der Klytie keine Idee einer Eisengießerei gewesen war. Es existiert ein Vorbild, welches heute im British Museum in London steht. Auf der Website des British Museums gibt es weitere Infos zu diesem Objekt. Die Büste ist ungefähr 57 cm hoch und aus Marmor gearbeitet, der aller Wahrscheinlichkeit nach auf der griechischen Insel Paros abgebaut wurde. Zur zeitlichen Einordnung des Originals ist zu sagen, dass es vermutlich in den Jahren 40 bis 50 n. Chr. hergestellt wurde. Allerdings existieren auch andere Meinungen über die Datierung der Büste, denn einige Forscher sehen sie als Werk des 18. Jhs. an. Weiters ist nicht eindeutig geklärt, wer in diesem Objekt dargestellt ist. Häufig wird die Marmorbüste als die Nymphe Klytie bezeichnet, aber laut der Fachliteratur könnte die Skulptur auch die Römerin Antonia, die Jüngeren zeigen.[1] Der Vollständigkeit halber soll hier erwähnt werden, dass es sich bei Antonia der Jüngeren (36 v. Chr. – 37 n. Chr.) um niemand geringeren als die Mutter des römischen Kaisers Claudius (10 v. Chr. – 54 n. Chr.) handelt. Auch ihr Vater war kein Unbekannter, denn dieser war Marcus Antonius (82 – 30 v. Chr.), der Geliebte von Königin Kleopatra und Gegner von Octavian (Kaiser Augustus) im Kampf um die Macht im Imperium Romanum.[2]

Abb. 5: Johann Zoffany „Charles Townley in his Sculpture Gallery“, 1783

Was den Fundort der Büste betrifft, so soll dieser in Neapel gelegen haben. Doch wie kam das Ausstellungsstück ins British Museum in London? Im Jahr 1772 verkaufte der damalige Besitzer Principe di Laurenzano die Büste an einen Briten namens Charles Townley (1737-1805). Dieser fügte das Stück unter dem Namen „Clytie“ in seine Antikensammlung ein und zeigte sich begeistert von der großen Schönheit der Skulptur. Auf einem Gemälde von Johann Zoffany (Abb. 5) sieht man die Büste von Klytie prominent in der Mitte stehen. Der Sammler Townley sitzt rechts in einem Stuhl. Nach seinem Tod verkauften seine Nachkommen die Sammlung, inklusive der Büste von Klytie, an das British Museum.[3]

Die Künstler der Gießereien bannten die herausragende Marmorbüste in Eisenkunstguss und ermöglichten es, durch serielle Produktion, einer Vielzahl von Personen sich Klytie in die eigenen vier Wände zu holen.

 

Der Mythos

Auch wenn nicht eindeutig zu belegen ist, wen die Büste wirklich darstellt – Klytie, Antonia die Jüngere oder jemand völlig anderen – ein Blick auf den antiken Mythos rund um die unglücklich verliebte Nymphe ist lohnenswert.

Der Name Klytie bedeutet übersetzt „die Berühmte“. Man findet auch Schreibweisen wie „Klytia“ oder „Clytie“ in der Literatur sowie Kunst. Nicht viele antike Autoren erwähnen die Nymphe. Der erste ist Hesiod (um 700 v. Chr.) in seinem Werk „Theogonie“ (dt. „Entstehung der Götter“). Hier wird sie als eine der zahlreichen Töchter der Meeresgottheiten Okeanos und Tethys bezeichnet.[4] Über die tragische Geschichte ihrer Liebe zum Sonnengott wird nichts erzählt.

Diese Information erhält man erst vom römischen Dichter Ovid (43 v. Chr. – 18 n. Chr.), der in seinen Metamorphosen von der Beziehung zwischen der Nymphe Klytie und Apollo sowie Leukothoe und Apollo berichtet. Zunächst waren Klytie und der Sonnengott ein Liebespaar, doch dann wendet sich dieser von der Nymphe ab und geht ein Verhältnis mit einer persischen Prinzessin namens Leukothoe ein. Aus Eifersucht erscheint Klytie bei Leukothoes Vater und erzählt ihm von der Liebschaft seiner Tochter. Wütend darüber lässt dieser Leukothoe lebendig begraben. Doch der Gott erweckt sie als Weihrauchstrauch wieder zum Leben. Klytie scheint sich daraufhin wieder die Gunst von Apollo erhofft zu haben, doch der Gott wendet sich zornig ab von ihr, weil sie den Tod von Leukothoe verschuldet hat. Einsam und alleine saß Klytie neun Tage lang auf einem Felsen und starrte dem Sonnengott auf seinem Weg über den Himmel hinterher. So wurde sie in ihrem Schmerz zu einer Blume.[5] Ovid beschreibt das Aussehen derselben wie folgt:

„Endlich hafteten fest, wie man sagt, am Boden die Glieder,

Teils von fahler Blässe verfärbt zu erblichenem Kraute,

Teils errötend wie Gold; und gleich der gelben Viole

Krönt ihr die Blume das Haupt; obgleich an der Wurzel befestigt,

Dreht sie nach Sol sich herum und behält, auch verwandelt, die Liebe.“[6]

Abb. 6: Charles de la Fosse, 17. Jh.

Die Blume, die im Mythos beschrieben wird, nennt man Sonnenwende, weil sich ihre Blüte immer mit dem Stand der Sonne bewegt, wie es bereits Ovid beschreibt. Die griechische Bezeichnung der Sonnenwenden – nämlich „Heliotrop“ – gibt diesen sogar im wahrsten Sinn des Wortes wieder. „Helios“ (ήλιος) ist die Sonne und „trope“ (τροπή) bezeichnet eine Wende oder Umkehr. Von den Sonnenwenden gibt es verschiedenste Arten, beinahe 200 zählt man weltweit. Sehr bekannt ist die sogenannte „Vanilleblume“ (Heliotropium arborescens). Diese Art stammt allerdings aus Südamerika. Von der Örtlichkeit wäre jene aus dem Mittelmeerraum stammende Art „Heliotropium europaeum“ passend oder jene Arten die aus Vorderasien stammen, bedenkt man die Bezeichnung von Leukothoe als „persische Prinzessin“. Als weitere Möglichkeiten wären aber auch die Wegwarte, das Alpenveilchen oder das Sonnenröschen zu nennen. Lange hielt sich die Meinung, dass es sich bei der Pflanze, in die sich Klytie verwandelt hat, um die allgemein bekannte Sonnenblume (Helianthus annuus) handelt. Diese kam jedoch erst im 16. Jh. nach Europa und somit kann Ovid, der im 1. Jh. v. Chr. bzw. 1. Jh. n. Chr. lebte, die Pflanze nicht gekannt haben. Dennoch finden sich auf Werken, die den Mythos über Klytie zum Thema haben, häufig Sonnenblumen wieder. Ein Beispiel wäre ein Gemälde von Charles de la Fosse (1636-1716) aus dem Jahr 1688 im Auftrag von Ludwig XIV., auf dem Klytie dem Sonnengott wehmütig nachblickt. Neben ihr sprießen als Zeichen für die bevorstehende Verwandlung bereits Sonnenblumen. (Abb. 6) Diese Pflanzen waren ursprünglich in Nordamerika heimisch und wurden dort gezielt angebaut. Nach ihrer Ankunft in Europa diente die Sonnenblume zunächst als Zierpflanze. Zur Gewinnung von Öl nutzte man die Sonnenblume erst ab der ersten Hälfte des 19. Jhs.[7]

Nach soviel Gerede über die Sonne ist es an der Zeit hinaus zu gehen und den Sommer in vollen Zügen zu genießen. Vielleicht treffen Sie auch auf eine Sonnenwende im Garten oder am Wegrand, die ihre Blüte den Strahlen der Sonne entgegenstreckt.

 

Quellen- und Literaturverzeichnis:

  1. Quellen:
  • Hesiod: Theogonie. Griechisch/Deutsch, übers. und hrsg. von Otto Schönberger. Verlag Philipp Reclam jun. GmbH & Co KG – Stuttgart – 1999.
  • Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. In der Übertragung von Johann Heinrich Voß, 8. Aufl. Insel Verlag – Frankfurt am Main/Leipzig – 2014.
  1. Literatur:
  • Der kleine Pauly – Lexikon der Antike in fünf Bänden. Bearb. und hrsg. Konrat Ziegler und Walther Sontheimer. Verlag J.B. Metzler – Stuttgart/Weimar – 2013.
  • Franke, Wolfgang: Nutzpflanzenkunde. Neu bearbeitet von Reinhard Lieberei und Christoph Reisdorff, 7. Aufl. Georg Thieme Verlag – Stuttgart/New York – 2007.
  • Gemoll, Wilhelm: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. 9 durchges. und erw. Auflage. Verlag Hölder/Pichler/Tempsky – Wien – 1991.
  • Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. 6. Erw. und erg. Aufl. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH – Hamburg – 1974.
  • Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie. 8. biblio. aktual. Aufl. Verlag Philipp Reclam jun. GmbH & Co KG – Stuttgart – 2012.
  1. Weblinks:
  • https://www.britishmuseum.org/collection/object/G_1805-0703-79 vom 6. März 2021.
  • https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/record.php?record=39119 vom 6. März 2021.
  • https://www.theoi.com/Nymphe/NympheKlytie.html vom 6. März 2021.
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Klytia_(Geliebte_des_Apollon) vom 8. März 2021.
  • https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/sonnenwende/62167 vom 31.3.2021.

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 1 – 4: Verena Lang, Schell Collection

Abb. 5: https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Townley vom 31.3.2021.

Abb. 6: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Clytie?uselang=de#/media/File:Clytie-DelaFosse-Trianon.jpg vom 31.3.2021.

Nachweise:

[1] Vgl. https://www.britishmuseum.org/collection/object/G_1805-0703-79 vom 6. März 2021; https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/record.php?record=39119 vom 6. März 2021.

[2] Vgl. Der kleine Pauly, Bd. 1, Sp. 410f., 414 und 1215ff.

[3] Vgl. https://www.britishmuseum.org/collection/object/G_1805-0703-79 vom 6. März 2021

[4] Vgl. Hes. theog. 346 ff.; Der kleine Pauly, Bd. 2, Sp. 1113; https://www.theoi.com/Nymphe/NympheKlytie.html vom 6. März 2021.

[5] Vgl. Ov. met. 4, 190ff.; Der kleine Pauly, Bd. 3, Sp. 259 und 601; Reclam Lexikon, S. 294.

[6] Ov. met. 4, 256ff.

[7] Vgl. Der kleine Pauly, Bd. 4, Sp. 383f.; Franke, S. 138; https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/sonnenwende/62167 vom 31.3.2021.