Der geheime Brief in einer Truhe von Rothschild
Mag. Martina Pall
Im Jahr 2013 wurde ein auf Eisen und Waffen spezialisiertes Museum in den USA geschlossen und fast der gesamte Inhalt in einer Auktion in London versteigert. Unter den diversen Stücken wie Rüstungen, Rüstungsteile, Helme, Hieb- und Stichwaffen war auch eine größere eiserne Truhe. Beide Schlüssel der Truhe fehlten, das Vexier war aufgebrochen und die gesamte Truhe war stark restaurierungsbedürftig. Dennoch ersteigerte die Schell Collection das Stück und bei der anschließenden fachgerechten Restaurierung kam ein erstaunlicher Fund zu Tage.
Unter einer der Ecksäulen lag ein zusammengefalteter Zettel. In diesem handgeschriebenen Brief stand in Kurrentschrift zu lesen, dass die Truhe aus dem Besitz des Baron Rothschild stammt und zu einem Schlosserbetrieb in Wien zur Restaurierung gebracht wurde. Der Geselle dieser Schlosserei wollte sich verewigen und legte ein handschriftliches Zeugnis unter die Säule, die er anschließend wieder passgenau einsetzte. Das Erstaunen der neuen Eigentümer war groß und die Freude über die plötzlich bedeutende Provenienz der gerade gekauften Truhe, natürlich hoch.
Aber wer war nun Baron Rothschild aus Wien? Lebten zur besagten Zeit sowohl Anselm Rothschild als auch dessen drei Söhne Nathaniel, Ferdinand und Albert. Licht ins Dunkel zu bringen, versuchte der Autor Roman Sandgruber[1]. Er veröffentlichte im Jahr 2018 die Abhandlung über den Wiener Zweig der Familie Rothschild. Seinen Angaben zufolge kann es sich bei dem Eigentümer der Truhe aus dem Jahr der Restaurierung, nur um Anselm Rothschild (1803-1874) gehandelt haben, der bekannt war für seine Vorliebe für das Kunsthandwerk. Als Anselm 1874 starb, erbte der mittlere Sohn Ferdinand große Teile der Sammlung des Vaters – diese gelangten als „Waddesdon Bequest“ zum Highlight des British Museums nach London.
Noch wahrscheinlicher aber ist, dass die Truhe als Erbe zum anderen Sohn Nathaniel (1836-1905) gelangte, dessen Erbnehmer wiederum, sein Neffe Alfons Rothschild (1878-1942) war. Ein zeitgenössischer Kommentar über die Sammlung von Nathaniel in der Theresiengasse in Wien, erzählt: „Soll man konstatieren, worin die Stärke der Rothschild´schen Sammlung liegt und was ihre vorwiegendste Schönheit ausmacht, so kommt man in Verlegenheit…“[2]
Alfons Rothildschs Eigentum wurde nach dem Jahr 1949 an seine noch lebende Frau Clarisse (1894-1967) in die USA rückgestellt, Teile der Sammlung kamen von ihr in den Handel. Belegt ist, dass die Truhe 1950 in New York durch Parke-Bernet Galleries verkauft wurde und zwar an das danach aufgelöste Museum in Worcester, Massachusetts.
Im dazugehörigen Auktionskatalog ist sie unter der Lotnummer 158, folgendermaßen beschrieben: “Louis XIV. Steel Treasure Chest. South Germany, 17th century. Rectangular chest with colonetted incurvate corners, the hinged cover centring a raised lockplate with secret mechanism, and applied with foliated corner pieces; the front with trellis-work centring a mascaran, the sides with acanths scrolls and bail handle (New York Private Collector).[3]
Was steht aber in dem Brief, dessen sinngemäße Übersetzung folgendermaßen lautet:
„Diese Kassa wurde von Herrn Baron von Rothschild als ein Alterthum angekauft und beim Hausschlosser Herrn Ferdinand Leonhem (?) wurde renoviert und hergerichtet von Schlossergesellen Georg Horwatisch gebürtig aus Lande Slawonien, aus der Stadt Brod. Diese Kassa stammt aus dem 16. Jh. und wurde repariert im Jahr 1864 im Monathe Mai. Geschrieben in Wien, am 2. Mai 1864. In der Vorstadt Josefstadt, Langegasse Nr. 36, Georg Horwatisch.“
Die Truhe selber besticht durch aufwändiges, aufgenietetes Rollwerk, Treillagen, einem großen Maskeron mit Sonnenhut und anderem Dekor. An der Vorderseite sind links und rechts Säulen in die eingezogenen Ecken gestellt. Zwei Scheinschlüssellöcher lenken vom eigentlichen Deckelschloss ab. Die Schlossabdeckplatte aus Messing ist reich durchbrochen und deckt ein Schloss mit 16 Riegeln ab. Das Innere ist noch mit jetzt verschlissener, hellgrüner Seide ausgekleidet. Die Maße betragen 44 x 64 x 40 cm, es handelt sich bereits um eine größere eiserne Kassa. Leider konnte keine Marke oder kein Schmiedesymbol bei der Restaurierung gefunden werden, nichtsdestotrotz scheint die Truhe, aufgrund der außergewöhnlichen Ornamente ein Auftragswerk oder ein Meisterstück des 18. Jahrhunderts gewesen zu sein.
Dass Anselm von Rothschild, einer der bedeutendsten Privatsammler des 19. Jahrhunderts, ein Auge auf dieses kostbare Stück geworfen und es in seine Sammlung integriert hat, scheint selbstverständlich. Er vererbte es seinem Sohn Nathaniel und der wiederum an seinen Neffen Alfons. Dessen Gattin lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in New York, wo sie auch Teile der zurückerhaltenen Kunstwerke, zur Versteigerung brachte. Nun ist diese Truhe wieder in Österreich gelandet, auf vielen Umwegen zwar, aber mit dem Platz in der Schell Collection in Graz, kann das außergewöhnliche Stück der Öffentlichkeit gezeigt werden und auch der Name des Schlossergesellen Georg Horwatisch ist, so wie er es sich 1864 vielleicht vorgestellt hat, der Nachwelt erhalten geblieben.
[1] Roman Sandgruber: Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses. Wien 2018.
[2] N.W.T. „Ein Besuch bei Baron Rothschild in Wien. In: Fachblattt für Innen-Dekoration, Darmstadt 1890, Band 23, Seite 190.
[3] Katalog Parke-Bernet Galleries, N.Y. 9.3.1950.
Der geheime Brief in einer Truhe von Rothschild
Mag. Martina Pall
Im Jahr 2013 wurde ein auf Eisen und Waffen spezialisiertes Museum in den USA geschlossen und fast der gesamte Inhalt in einer Auktion in London versteigert. Unter den diversen Stücken wie Rüstungen, Rüstungsteile, Helme, Hieb- und Stichwaffen war auch eine größere eiserne Truhe. Beide Schlüssel der Truhe fehlten, das Vexier war aufgebrochen und die gesamte Truhe war stark restaurierungsbedürftig. Dennoch ersteigerte die Schell Collection das Stück und bei der anschließenden fachgerechten Restaurierung kam ein erstaunlicher Fund zu Tage.
Unter einer der Ecksäulen lag ein zusammengefalteter Zettel. In diesem handgeschriebenen Brief stand in Kurrentschrift zu lesen, dass die Truhe aus dem Besitz des Baron Rothschild stammt und zu einem Schlosserbetrieb in Wien zur Restaurierung gebracht wurde. Der Geselle dieser Schlosserei wollte sich verewigen und legte ein handschriftliches Zeugnis unter die Säule, die er anschließend wieder passgenau einsetzte. Das Erstaunen der neuen Eigentümer war groß und die Freude über die plötzlich bedeutende Provenienz der gerade gekauften Truhe, natürlich hoch.
Aber wer war nun Baron Rothschild aus Wien? Lebten zur besagten Zeit sowohl Anselm Rothschild als auch dessen drei Söhne Nathaniel, Ferdinand und Albert. Licht ins Dunkel zu bringen, versuchte der Autor Roman Sandgruber[1]. Er veröffentlichte im Jahr 2018 die Abhandlung über den Wiener Zweig der Familie Rothschild. Seinen Angaben zufolge kann es sich bei dem Eigentümer der Truhe aus dem Jahr der Restaurierung, nur um Anselm Rothschild (1803-1874) gehandelt haben, der bekannt war für seine Vorliebe für das Kunsthandwerk. Als Anselm 1874 starb, erbte der mittlere Sohn Ferdinand große Teile der Sammlung des Vaters – diese gelangten als „Waddesdon Bequest“ zum Highlight des British Museums nach London.
Noch wahrscheinlicher aber ist, dass die Truhe als Erbe zum anderen Sohn Nathaniel (1836-1905) gelangte, dessen Erbnehmer wiederum, sein Neffe Alfons Rothschild (1878-1942) war. Ein zeitgenössischer Kommentar über die Sammlung von Nathaniel in der Theresiengasse in Wien, erzählt: „Soll man konstatieren, worin die Stärke der Rothschild´schen Sammlung liegt und was ihre vorwiegendste Schönheit ausmacht, so kommt man in Verlegenheit…“[2]
Alfons Rothildschs Eigentum wurde nach dem Jahr 1949 an seine noch lebende Frau Clarisse (1894-1967) in die USA rückgestellt, Teile der Sammlung kamen von ihr in den Handel. Belegt ist, dass die Truhe 1950 in New York durch Parke-Bernet Galleries verkauft wurde und zwar an das danach aufgelöste Museum in Worcester, Massachusetts.
Im dazugehörigen Auktionskatalog ist sie unter der Lotnummer 158, folgendermaßen beschrieben: “Louis XIV. Steel Treasure Chest. South Germany, 17th century. Rectangular chest with colonetted incurvate corners, the hinged cover centring a raised lockplate with secret mechanism, and applied with foliated corner pieces; the front with trellis-work centring a mascaran, the sides with acanths scrolls and bail handle (New York Private Collector).[3]
Was steht aber in dem Brief, dessen sinngemäße Übersetzung folgendermaßen lautet:
„Diese Kassa wurde von Herrn Baron von Rothschild als ein Alterthum angekauft und beim Hausschlosser Herrn Ferdinand Leonhem (?) wurde renoviert und hergerichtet von Schlossergesellen Georg Horwatisch gebürtig aus Lande Slawonien, aus der Stadt Brod. Diese Kassa stammt aus dem 16. Jh. und wurde repariert im Jahr 1864 im Monathe Mai. Geschrieben in Wien, am 2. Mai 1864. In der Vorstadt Josefstadt, Langegasse Nr. 36, Georg Horwatisch.“
Die Truhe selber besticht durch aufwändiges, aufgenietetes Rollwerk, Treillagen, einem großen Maskeron mit Sonnenhut und anderem Dekor. An der Vorderseite sind links und rechts Säulen in die eingezogenen Ecken gestellt. Zwei Scheinschlüssellöcher lenken vom eigentlichen Deckelschloss ab. Die Schlossabdeckplatte aus Messing ist reich durchbrochen und deckt ein Schloss mit 16 Riegeln ab. Das Innere ist noch mit jetzt verschlissener, hellgrüner Seide ausgekleidet. Die Maße betragen 44 x 64 x 40 cm, es handelt sich bereits um eine größere eiserne Kassa. Leider konnte keine Marke oder kein Schmiedesymbol bei der Restaurierung gefunden werden, nichtsdestotrotz scheint die Truhe, aufgrund der außergewöhnlichen Ornamente ein Auftragswerk oder ein Meisterstück des 18. Jahrhunderts gewesen zu sein.
Dass Anselm von Rothschild, einer der bedeutendsten Privatsammler des 19. Jahrhunderts, ein Auge auf dieses kostbare Stück geworfen und es in seine Sammlung integriert hat, scheint selbstverständlich. Er vererbte es seinem Sohn Nathaniel und der wiederum an seinen Neffen Alfons. Dessen Gattin lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in New York, wo sie auch Teile der zurückerhaltenen Kunstwerke, zur Versteigerung brachte. Nun ist diese Truhe wieder in Österreich gelandet, auf vielen Umwegen zwar, aber mit dem Platz in der Schell Collection in Graz, kann das außergewöhnliche Stück der Öffentlichkeit gezeigt werden und auch der Name des Schlossergesellen Georg Horwatisch ist, so wie er es sich 1864 vielleicht vorgestellt hat, der Nachwelt erhalten geblieben.
[1] Roman Sandgruber: Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses. Wien 2018.
[2] N.W.T. „Ein Besuch bei Baron Rothschild in Wien. In: Fachblattt für Innen-Dekoration, Darmstadt 1890, Band 23, Seite 190.
[3] Katalog Parke-Bernet Galleries, N.Y. 9.3.1950.