Ein chinesisches Spreizfedernvorhangschloss in Form eines Rindes.
Am 12. Februar fand 2021 das Chinesisches Neujahresfest statt. Das Jahr der Ratte ging damit zu Ende, doch schon folgt ein anderes Tierkreiszeichen dem kleinen Nagetier nach. 2021 ist das Jahr des Ochsen oder auch Rindes. Dies alleine ist schon Grund genug, als Objekt dieses Monats ein passendes Stück aus der Schell Collection vorzustellen. In der vielfältigen Welt der asiatischen Exponate wird man auch schnell fündig: Ein Vorhangschloss in Form eines Rindes oder Ochsen. In Asien kennt man das gehörnte Nutztier nicht nur als Tierkreiszeichen, sondern verbindet es symbolisch mit dem Frühling. So sprechen schon zwei Gründe dafür, dass das Vorhangschloss unser Objekt des Monats im April wird. Als dritten Grund könnte man den Beginn des Sternzeichens Stier ab 21. April anführen. Soweit so gut! Doch wie sieht es mit dem Rind als Sinnbild oder sogar als Gottheit in Zusammenhang mit den Glaubensvorstellungen in China, Indien und Tibet aus?
Das Objekt
Inv.-Nr. 6017, Länge: 11 cm
Bei dem, im 3. Stock der Sammlung ausgestellten, Objekt handelt es sich um ein sogenanntes Spreizfedernvorhangschloss, wie es im asiatischen Raum häufig in Verwendung ist. Zeitlich ist das Vorhangschloss in Form eines liegenden Rindes bzw. Büffels der Mitte des 19. Jhs. zuzuordnen. Was die Herkunft betrifft, so handelt es sich um ein Objekt aus China und fällt damit in die Zeit der Qing-Dynastie (1644-1911). Als Material für das Vorhangschloss sowie für den dazugehörigen Schlüssel wurde Messing verwendet. Die langen, gebogenen Hörner des Tieres sind mit feinen, gravierten Linien verziert und auf der Stirn sieht man ein Sonnensymbol. Die Beine ruhen seitlich neben dem Körper und der Schweif liegt auf der Hüfte auf.
Das Schloss lässt sich öffnen in dem man den flachen Schlüssel zwischen den Hinterbacken des Tieres hineinschiebt. So drückt man die innenliegende Spreizfeder zusammen und der Bügel lässt sich herausziehen. Wenn man das Schloss geöffnet hat, dann sieht man, dass die Spreizfeder mit dem Kopf der Kuh verbunden ist, ebenso wie mit dem Bügel des Vorhangschlosses. Das Schloss selbst besteht aus dem Körper des Tieres.
In der Schell Collection befindet sich noch ein weiteres Vorhangschloss in Form eines Rindes, welches aber aus dem 20. Jh. stammt. Die beiden Objekte sind zusammen in der Vitrine ausgestellt, damit der Betrachter die Unterschiede ausmachen kann. Dass die Form der Kuh bzw. des Büffels für ein Vorhangschloss in Asien beliebt war, zeigen auch Vergleichsobjekte aus anderen Sammlungen. Hier sollen drei Exemplare aus der Kollektion Ingo Schmoeckel als Beispiele dienen, die den Objekten der Schell Collection teilweise sehr ähneln.Bereits zweimal konnte man das Objekt bei einer Ausstellung außerhalb der Schell Collection bewundern. Zum einen beim Bergfilmfestival 2001, das alljährlich im Grazer Congress stattfindet und zum anderen bei der Ausstellung „Kunst in der Natur“ in Schloss Lackenbach (Bgld.) im Jahr 2017.
Das Rind als Symbol im asiatischen Raum
Nach dieser optischen Beschreibung des Objekts des Monats soll nun die Symbolik ebenso wie der kulturelle Stellenwert von Kuh, Stier oder Büffel in Asien erläutert werden. Zu Beginn werden wir uns China zuwenden, bevor wir den Blick nach Indien sowie nach Tibet richten.
China
Wenn man sich mit dem Rind und seiner Symbolik im chinesischen Kulturkreis beschäftigt, muss man wissen, dass es unwesentlich ist, ob der Begriff Kuh, Stier, Ochse oder Büffel verwendet wird.[1] Das chinesische Wort für Rind lautet „niu“ und seine primäre, symbolische Bedeutung steht in Zusammenhang mit dem Frühling und der damit beginnenden Feldarbeit. Dies kommt daher, dass das Rind den Menschen schon seit Jahrtausenden hilfreich beim Umpflügen des Ackerbodens zur Seite steht. Die wichtige Rolle, die das Tier in der Landwirtschaft einnimmt, spiegelt sich in Erlässen der Herrscher über Verbote hinsichtlich der Schlachtung und dem Verzehr von Rindern wider. Solche kennt man nicht nur aus China, sondern beispielsweise auch aus Japan. Weiters spielt Wasser – ebenfalls eine wichtige Komponente in der Landwirtschaft – in Zusammenhang mit dem Rind eine große Rolle. So existierten Rituale bei denen z.B. ein Dammbruch verhindert werden sollte, in dem man steinerne oder bronzene Statuetten in Kuhform in die Flüsse warf. Zum Thema Rind und Wasser gibt es vor allem in Südchina einen Mythos über einen Flussgott, den man sich in Büffelgestalt dachte. Möglich ist eine Verbindung zwischen diesem und die in dieser Region stattfindenden rituellen Kämpfe zwischen zwei Stieren oder Wasserbüffeln (chin. „shui niu“).[2]
Das Rind bzw. der Büffel ist als Tierkreiszeichen im chinesischen Horoskop zu finden und zwar an zweiter Stelle nach der Ratte. Menschen, die unter dem Zeichen des Rinds geboren sind, gelten als ruhig, widerstandsfähig, tolerant und besonnen. Manchmal sieht man einen Büffel auch als Tragtier eines alten Mannes, bei dem es sich meistens um den chinesischen Philosophen Lao-Tse oder Laozi (dt. „Alter Meister“) handelt. Als Symbol für ein Problem, das man überwunden hat, steht ein Rind, das von einem Jungen geritten wird.[3]
In China kennt man den Mythos „Der Kuhhirte und der Weberin“, in dem eine Kuh eine wichtige Rolle spielt. Die Liebesgeschichte zwischen den namensgebenden Protagonisten des Mythos erfreut sich auch heute noch einer großen Beliebtheit und ist Teil des chinesischen Festkalenders. Die Erzählung – in verschiedenen Variationen – dreht sich um einen armen Kuhhirten, der sich in eine der göttlichen Himmelstöchter verliebt, die im Himmel die Kleidung für die Gottheiten webt. Diese heiratet den Hirten und lebt bei ihm und den gemeinsamen Kindern auf der Erde. Doch nach einiger Zeit wird sie vom Jadekaiser, dem obersten Gott, zurück in den Himmel gerufen, um ihre Arbeit am göttlichen Webstuhl weiter zu verrichten. Eine magische Kuh (manchmal ist es auch ein Büffel) rät dem Kuhhirten, sie zu schlachten und auf ihrem Fell in den Himmel zu fliegen. Gesagt getan und der Mann ist flugs unterwegs zu seiner Frau. Doch die Frau des Jadekaisers macht ihm im wahrsten Sinn des Wortes einen Strich durch die Rechnung und trennt die beiden Liebenden durch eine Linie quer am Himmel. So erklärte man sich in China früher die Existenz der Milchstraße. Für immer getrennt, weinen und klagen der Kuhhirte und die Weberin – jeder auf seiner Seite der Grenze. Das konnte der Jadekaiser nicht mitansehen und erlaubte ihnen sich einmal im Jahr zu sehen. Dies sollte am 7. Tag des 7. Monats geschehen. Eine Brücke aus Elstern gestattet den beiden die Linie am Himmel zu überqueren. Eine Ausnahme bilden Regentage, denn dann kann der Übergang nicht entstehen. Eine Version des Mythos erzählt, dass eigentlich vorgesehen war, dass sich das Paar einmal im Monat sehen sollte, aber die Botin – eine Elster – überbrachte stattdessen irrtümlich die Nachricht, dass es nur einmal im Jahr die Möglichkeit gab.[4]
Indien
Von dem Reich der Mitte geht es nun nach Indien. Dass Kühe hier als heilig gelten und ihr Fleisch nicht gegessen werden darf, ist vielen Leuten ein Begriff. Doch warum gerade dieses Tier und nicht Schweine oder Schafe? Die Antwort liegt, wie so oft, in alten Glaubensvorstellungen und Mythen. Wenn man über Rinder in der indischen Mythologie recherchiert, dann stößt man sehr schnell auf eine heilige Kuh namens „Surabhī“ sowie auf den göttlichen Stier „Nandī“. Nun Ladies first – wie es so schön heißt – und deshalb macht Surabhī den Anfang.
Die Kuh Surabhī gilt als Tochter des Gottes Daksa, der in der Glaubensvorstellung als Sinnbild für Macht und Ritual angesehen wird. So ist es auch nachvollziehbar, dass Surabhī bei einer äußerst bedeutenden rituellen Handlung der hinduistischen Gottheiten geboren wurde: „Der Verquirlung des Milchmeeres“. Bei dieser Erzählung handelt es sich um einen alten Schöpfungsmythos, auf dem zahlreiche andere Mythen basieren. Der Milchozean wurde von den Göttern und Dämonen mittels eines gewaltigen Quirls umgerührt und verschiedene mythische Wesen kamen zum Vorschein. Bei einem davon handelt es sich um die heilige Kuh Surabhī. Aus diesem Grund ist sie ein Symbol für Fortpflanzung und Überfluss. Ein weiterer Aspekt von Surabhī ist ihre Fähigkeit Wünsche zu erfüllen. In dieser Rolle wird sie als „Kāmadheunu“ bezeichnet, was übersetzt „Wunschkuh“ bedeutet. Doch nicht nur das Tier selbst ist heilig, sondern auch alles, was aus Surabhī herauskommt. Milch, Urin und Kot wurden als Heilmittel oder Prophylaxe gegen Krankheiten angesehen. Die Ausscheidungen haben laut den Glaubensvorstellungen einen verjüngenden Effekt. Eine Form, in der Surabhī angebetet wird, stellt eine junge Frau mit einem Kuhkopf dar. In den Händen hält die Gottheit als charakteristische Objekte ein Wassergefäß sowie Grasbüschel. Aus Ägypten etwa kennt man ebenfalls eine kuhköpfige Gottheit der Liebe, Fruchtbarkeit und Schönheit namens Hathor. Der Wohnsitz von Surabhī liegt laut dem Mythos im Paradies von Krishna am heiligen Berg Meru.[5]
Von der heiligen Kuh folgt nun eine Betrachtung des Stieres bezüglich seiner Symbolik im Hinduismus. Das Wort für Stier lautet in Sanskrit „Vŗșan“ und wie auch in anderen Kulturen steht das Tier für Männlichkeit und Stärke. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen einem weißen und einem schwarzen Stier.
Der weiße Stier mit dem schwarzen Schweif trägt den Namen „Nandī“, was übersetzt soviel wie „der Glückliche“ bedeutet. Auf dem prächtigen Tier reitet niemand geringeres als der mächtige Gott Śiva. Manchmal trägt Nandī aber auch andere Gottheiten, die mit Śiva in Verbindung stehen wie dessen Gattin Pārvatī. Weiters galt der Stier als eine mögliche Gestalt von Śiva. Der Gott wird als der Herr und Bezwinger von allem Triebhaften bezeichnet, was ihn zum Besten aller Asketen macht. Auch damit steht Nandī in Verbindung und zwar in Form seines Hufabdrucks („Nandīpāda„). Dieser wird im Hinduismus als glückverheißendes Symbol angesehen, aber soll die Menschen auch ermahnen, religiöse Bräuche und moralische Gebote nicht zu vergessen. Die vier Beine von Nandī werden jeweils einem abstrakten Begriff zugeordnet: Wahrheit, Reinheit, Mitleid und Freigiebigkeit. In Zusammenhang mit Nandī existiert im Hinduismus die Vorstellung, dass man sich von allem Übel reinwäscht, wenn man den Schweif eines Stieres berührt. Neben diesen ganzen Aspekten des göttlichen Stieres darf nicht unerwähnt bleiben, dass in seinen Aufgabenbereich auch der Schutz aller vierbeinigen Tiere fällt.[6]
Wie bereits erwähnt existiert – neben dem weißen Stier Nandī – noch die Vorstellung von einem schwarzen Stier, der in den Mythen mit dem Namen Mahișa (dt. Büffel) bezeichnet wird. Dieser dient ebenfalls einer Gottheit als Reittier. Anhand der Fellfarbe des Tieres denkt man sofort an etwas Dunkles und so ist es nicht verwunderlich, dass es sich bei dem Reiter um Yama, den Gott des Todes, handelt.[7] Auf Yama wird im Folgenden noch einmal Bezug genommen.
Doch zuvor soll hier noch ein weiterer Mythos aus dem Hinduismus, der in Zusammenhang mit einem Büffel namens Mahișa steht, genannt werden. Es ist die Erzählung über den Kampf der Göttin Tripurā Sundarī (auch Durga oder Kali genannt) mit dem übermächtigen Büffeldämon Mahișa. Der Dämon wird als so mächtig beschrieben, dass kein Gott gegen ihn im Kampf eine Chance hatte. In einer Version des Mythos werden die Götter von dem Dämon und seinem Heer sogar aus ihrer Wohnstätte (Swarga) vertrieben. Also taten sich die Mächtigsten von ihnen (namentlich erwähnt werden u.a. Indra, Brahma, Vishnu, Śiva, Surya, Yama und Varuna) zusammen und schufen aus ihrem feurigen Atem eine gewaltige Göttin namens Tripurā Sundarī. In ihr vereinigten sich sowohl positive als auch zerstörerische Kräfte der Gottheiten. Es wird auch berichtet, welcher Körperteil der Göttin, welcher Gott aus seinem Atem schuf z.B. Śiva das Gesicht oder Yama das Haar. Weiters gaben die Götter Tripurā Sundarī einige ihrer Waffen oder Attribute für die Schlacht gegen den Büffeldämon mit. Auf Darstellungen sieht man die Göttin als junges Mädchen mit 8 bzw. 18 Armen, in denen sie eine Vielzahl eben dieser Attributen trägt. Laut Mythos dauerte der Kampf an, denn zunächst musste das Dämonenheer besiegt werden. Dann erst kam der eigentliche Zweikampf mit dem Büffeldämon, der seine Gestalt verändern konnte, wie in etwa die eines Kriegers oder eines Löwen. So machte er es Tripurā Sundarī nicht leicht ihn zu vernichten, doch am Ende war die Göttin siegreich. Dargestellt als „Mahișāsuramardinī“ („Besiegerin des Büffeldämons“) wird Tripurā Sundarī mit einem Fuß auf dem liegenden Büffel oder nur auf dessen Haupt stehend gezeigt.[8]
Tibet
Zum Abschluss soll noch ein Blick nach Tibet geworfen werden, denn auch hier kennt man eine Erzählung über einen überirdischen Kampf gegen einen Gott mit Büffelkopf. Im Kapitel über Indien wurde dieser bereits kurz vorgestellt: Yama, der Gott des Todes. Dieser ist auch im Buddhismus bekannt und zwar mit einem Büffelhaupt als Kopf. Zu ihm existiert ein Mythos, der mit der Überwindung des Todes endet. In der Glaubensvorstellung des Mahayana Buddhismus kennt man die „Bodhisattvas“, Wesen die nach Erleuchtung streben. Manjushrî, der Bodhisattva der Weisheit („prajñā“), forderte den Todesgott Yama zum Kampf heraus. Ein Aspekt von Yama im buddhistischen Glauben ist nämlich die Verbindung des Gottes mit der Unwissenheit. Aus diesem Grund muss es der Bodhisattva der Weisheit sein, der auch als Lichtbringer und Feind der Dämonen der Dunkelheit gilt. Um gegen den Totengott zu bestehen, nahm Manjushrî seine zornvolle Gestalt an. Am Ende siegte die Weisheit über den Tod, was sich im Aussehen von Manjushrî niederschlug. Als „Yamāntaka“ (dt. „Bändiger des Yama“ oder „der dem Yama ein Ende macht“) oder „Yamāri“ (dt. „Yamafeind“) trägt er nun den Büffelkopf seines Gegners, wie auf der Abbildung deutlich zu sehen ist. Ein anderer Name von Manjushrî lautet „Vajrabhairava“, was übersetzt „Überwinder des Todes“ bedeutet. So wird der Gott Yama als dunkler Aspekt des Bodhisattva Manjushrî gedacht und in das Erleuchtungswesen integriert. Die Chitipati, die tanzenden Skelette, gehören zur Dienerschaft des büffelköpfigen Totengott Yama.[9] Diese Wesen begegnen Besuchern auf Objekten im Museum. Eines davon – ein Opferkabinett – stand bereits im Rahmen des Objekts des Monats Dezember 2017 im Rampenlicht.
Über den Kampf zwischen Manjushrî und Yama gibt es noch eine weitere Version, vor allem was die Entstehung von Yama selbst betrifft. Dieser war eigentlich zunächst ein Mensch, der als Mönch lebte. Eines Nachts drangen zwei Diebe in seine Hütte ein und töteten dort einen gestohlenen Stier, in dem sie ihm den Kopf abschlugen. Auch Yama, der um sein Leben flehte, enthaupteten die Verbrecher. Da der Mönch es beinahe geschafft hatte, die Erleuchtung zu erlangen, waren in ihm bereits überirdische Mächte am Werk. So packte der Körper von Yama den Kopf des Stieres und setzte ihn auf seine Schultern. So wurde der einst friedliche Mönch zu einem alles verwüstenden Untier, das zunächst seine beiden Mörder tötete. Bevor Yama den anderen Menschen etwas zu leide tun konnte, griff Manjushrî ein und besiegte den Wüterich im Zweikampf. In dieser Version gibt Manjushrî dem Yama eine wichtige Aufgabe, denn er wird zum Beschützer der buddhistischen Lehre („Dharmapala“). Doch damit ist Yamas Arbeit nicht getan, denn zusätzlich wird er von Manjushrî auch zum Totenrichter erhoben.[10]
Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl in China, Indien, aber auch in Tibet das Rind, die Kuh oder der Stier von großer, mythologischer Bedeutung war – sowohl als Symbol und Allegorie, aber auch als Gottheiten. Das gilt natürlich für zahlreiche vergangene, aber auch heutige Kulturkreise auf der Welt. Auch Österreich ist davon nicht ausgenommen, bedenkt man das prächtig geschmückte Weidevieh beim Abtrieb von den Almen, was die landwirtschaftliche Bedeutung des Rindes im Brauchtum abbildet. Es zeigt aber vor allem auch, wie groß die Gemeinsamkeiten der Kulturen sind, obwohl man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann.
Text: Mag. Verena Lang
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1-5: Eigene Fotos der Autorin.
Abb. 6: Schmoeckel, Ingo: Vorhängeschlösser in Asien aus der Sammlung Ingo Schmoeckel. Eigenverlag – Oberursel – 2007. S. 5 (Nr. IX, 9-11).
Abb. 7: Eberhard, Wolfram: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen. Heinrich Hugendubel Verlag – Kreuzlingen/München – 2004. S. 243.
Abb. 8: Kaminski, Gerd: Von Drachenbooten und Mondhasen – Die chinesischen Jahresfeste. Berichte des Österreichischen Instituts für Chinas und Südostasienforschung, Nr. 70. Löcker Verlag – Wien – 2015. S. 201.
Abb. 9: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 184.
Abb. 10: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 148.
Abb. 11: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 122.
Abb. 12: Auboyer, Jeannine; Beurdeley, Michel u.a.: Handbuch der Formen- und Stilkunde Asien. Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz – 1980. S. 62.
Abb. 13: Tibet – Buddhas, Götter, Heilige. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Museum der Kulturen Basel. Prestel Verlag – München – London – New York – 2001. S. 87.
Abb. 14: Schumann, Hans Wolfgang: Buddhistische Bilderwelt. Ein ikonographisches Handbuch des Mahayana- und Tantrayana-Buddhismus. 3. Aufl. Eugen Diederichs Verlag – München – 1986. S. 187.
Abb. 15: Tibet – Kunst des Buddhismus. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst, München, 6. August bis 16. Oktober 1977. S. 27.
Literaturverzeichnis:
Auboyer, Jeannine; Beurdeley, Michel u.a.: Handbuch der Formen- und Stilkunde Asien. Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz – 1980.
Eberhard, Wolfram: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen. Heinrich Hugendubel Verlag – Kreuzlingen/München – 2004.
Guter, Josef: Lexikon der Götter und Symbole der alten Chinesen. Handbuch der mystischen und magischen Welt Chinas. Marix Verlag GmbH – Wiesbaden – 2004.
Hart, George: Ägyptische Mythen. Eine Einführung. Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG – Stuttgart – 2016.
Kaminski, Gerd: Von Drachenbooten und Mondhasen – Die chinesischen Jahresfeste. Berichte des Österreichischen Instituts für Chinas und Südostasienforschung, Nr. 70. Löcker Verlag – Wien – 2015.
Knappert, Jan: Lexikon der indischen Mythologie – Mythen, Sagen und Legenden von A-Z. Hrsg. Michael Görden und Hans Christian Meiser. Seehamer Verlag GmbH -Weyarn – 1997.
Levenson, Claude B.: Symbole des Buddhismus – Der tibetische Weg. Bechtermünz Verlag – Augsburg – 1999.
Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986.
Schmoeckel, Ingo: Vorhängeschlösser in Asien aus der Sammlung Ingo Schmoeckel. Eigenverlag – Oberursel – 2007.
Schumann, Hans Wolfgang: Buddhistische Bilderwelt. Ein ikonographisches Handbuch des Mahayana- und Tantrayana-Buddhismus. 3. Aufl. Eugen Diederichs Verlag – München – 1986.
Tibet – Buddhas, Götter, Heilige. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Museum der Kulturen Basel. Prestel Verlag – München – London – New York – 2001.
Tibet – Kunst des Buddhismus. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst, München, 6. August bis 16. Oktober 1977.
[4] Vgl. Eberhard, S. 298f.; Guter, 196ff.; Kaminski, S. 199f. Zu den Ritualen und Bräuchen rund um den Mythos: Vgl. Kaminski, S. 202-212.
[5] Vgl. Knappert, S. 166; Kurts, S. 22; Schleberger, S. 184. Zur Verquirlung des Milchmeeres vgl. Schleberger, S. 173ff. Zu Hathor vgl. Hart, S. 60, 91; Kurts, S. 58.
2021 – Das Jahr des Büffels
Ein chinesisches Spreizfedernvorhangschloss in Form eines Rindes.
Am 12. Februar fand 2021 das Chinesisches Neujahresfest statt. Das Jahr der Ratte ging damit zu Ende, doch schon folgt ein anderes Tierkreiszeichen dem kleinen Nagetier nach. 2021 ist das Jahr des Ochsen oder auch Rindes. Dies alleine ist schon Grund genug, als Objekt dieses Monats ein passendes Stück aus der Schell Collection vorzustellen. In der vielfältigen Welt der asiatischen Exponate wird man auch schnell fündig: Ein Vorhangschloss in Form eines Rindes oder Ochsen. In Asien kennt man das gehörnte Nutztier nicht nur als Tierkreiszeichen, sondern verbindet es symbolisch mit dem Frühling. So sprechen schon zwei Gründe dafür, dass das Vorhangschloss unser Objekt des Monats im April wird. Als dritten Grund könnte man den Beginn des Sternzeichens Stier ab 21. April anführen. Soweit so gut! Doch wie sieht es mit dem Rind als Sinnbild oder sogar als Gottheit in Zusammenhang mit den Glaubensvorstellungen in China, Indien und Tibet aus?
Das Objekt
Inv.-Nr. 6017, Länge: 11 cm
Bei dem, im 3. Stock der Sammlung ausgestellten, Objekt handelt es sich um ein sogenanntes Spreizfedernvorhangschloss, wie es im asiatischen Raum häufig in Verwendung ist. Zeitlich ist das Vorhangschloss in Form eines liegenden Rindes bzw. Büffels der Mitte des 19. Jhs. zuzuordnen. Was die Herkunft betrifft, so handelt es sich um ein Objekt aus China und fällt damit in die Zeit der Qing-Dynastie (1644-1911). Als Material für das Vorhangschloss sowie für den dazugehörigen Schlüssel wurde Messing verwendet. Die langen, gebogenen Hörner des Tieres sind mit feinen, gravierten Linien verziert und auf der Stirn sieht man ein Sonnensymbol. Die Beine ruhen seitlich neben dem Körper und der Schweif liegt auf der Hüfte auf.
Das Schloss lässt sich öffnen in dem man den flachen Schlüssel zwischen den Hinterbacken des Tieres hineinschiebt. So drückt man die innenliegende Spreizfeder zusammen und der Bügel lässt sich herausziehen. Wenn man das Schloss geöffnet hat, dann sieht man, dass die Spreizfeder mit dem Kopf der Kuh verbunden ist, ebenso wie mit dem Bügel des Vorhangschlosses. Das Schloss selbst besteht aus dem Körper des Tieres.
In der Schell Collection befindet sich noch ein weiteres Vorhangschloss in Form eines Rindes, welches aber aus dem 20. Jh. stammt. Die beiden Objekte sind zusammen in der Vitrine ausgestellt, damit der Betrachter die Unterschiede ausmachen kann. Dass die Form der Kuh bzw. des Büffels für ein Vorhangschloss in Asien beliebt war, zeigen auch Vergleichsobjekte aus anderen Sammlungen. Hier sollen drei Exemplare aus der Kollektion Ingo Schmoeckel als Beispiele dienen, die den Objekten der Schell Collection teilweise sehr ähneln. Bereits zweimal konnte man das Objekt bei einer Ausstellung außerhalb der Schell Collection bewundern. Zum einen beim Bergfilmfestival 2001, das alljährlich im Grazer Congress stattfindet und zum anderen bei der Ausstellung „Kunst in der Natur“ in Schloss Lackenbach (Bgld.) im Jahr 2017.
Das Rind als Symbol im asiatischen Raum
Nach dieser optischen Beschreibung des Objekts des Monats soll nun die Symbolik ebenso wie der kulturelle Stellenwert von Kuh, Stier oder Büffel in Asien erläutert werden. Zu Beginn werden wir uns China zuwenden, bevor wir den Blick nach Indien sowie nach Tibet richten.
China
Wenn man sich mit dem Rind und seiner Symbolik im chinesischen Kulturkreis beschäftigt, muss man wissen, dass es unwesentlich ist, ob der Begriff Kuh, Stier, Ochse oder Büffel verwendet wird.[1] Das chinesische Wort für Rind lautet „niu“ und seine primäre, symbolische Bedeutung steht in Zusammenhang mit dem Frühling und der damit beginnenden Feldarbeit. Dies kommt daher, dass das Rind den Menschen schon seit Jahrtausenden hilfreich beim Umpflügen des Ackerbodens zur Seite steht. Die wichtige Rolle, die das Tier in der Landwirtschaft einnimmt, spiegelt sich in Erlässen der Herrscher über Verbote hinsichtlich der Schlachtung und dem Verzehr von Rindern wider. Solche kennt man nicht nur aus China, sondern beispielsweise auch aus Japan. Weiters spielt Wasser – ebenfalls eine wichtige Komponente in der Landwirtschaft – in Zusammenhang mit dem Rind eine große Rolle. So existierten Rituale bei denen z.B. ein Dammbruch verhindert werden sollte, in dem man steinerne oder bronzene Statuetten in Kuhform in die Flüsse warf. Zum Thema Rind und Wasser gibt es vor allem in Südchina einen Mythos über einen Flussgott, den man sich in Büffelgestalt dachte. Möglich ist eine Verbindung zwischen diesem und die in dieser Region stattfindenden rituellen Kämpfe zwischen zwei Stieren oder Wasserbüffeln (chin. „shui niu“).[2]
Das Rind bzw. der Büffel ist als Tierkreiszeichen im chinesischen Horoskop zu finden und zwar an zweiter Stelle nach der Ratte. Menschen, die unter dem Zeichen des Rinds geboren sind, gelten als ruhig, widerstandsfähig, tolerant und besonnen. Manchmal sieht man einen Büffel auch als Tragtier eines alten Mannes, bei dem es sich meistens um den chinesischen Philosophen Lao-Tse oder Laozi (dt. „Alter Meister“) handelt. Als Symbol für ein Problem, das man überwunden hat, steht ein Rind, das von einem Jungen geritten wird.[3]
In China kennt man den Mythos „Der Kuhhirte und der Weberin“, in dem eine Kuh eine wichtige Rolle spielt. Die Liebesgeschichte zwischen den namensgebenden Protagonisten des Mythos erfreut sich auch heute noch einer großen Beliebtheit und ist Teil des chinesischen Festkalenders. Die Erzählung – in verschiedenen Variationen – dreht sich um einen armen Kuhhirten, der sich in eine der göttlichen Himmelstöchter verliebt, die im Himmel die Kleidung für die Gottheiten webt. Diese heiratet den Hirten und lebt bei ihm und den gemeinsamen Kindern auf der Erde. Doch nach einiger Zeit wird sie vom Jadekaiser, dem obersten Gott, zurück in den Himmel gerufen, um ihre Arbeit am göttlichen Webstuhl weiter zu verrichten. Eine magische Kuh (manchmal ist es auch ein Büffel) rät dem Kuhhirten, sie zu schlachten und auf ihrem Fell in den Himmel zu fliegen. Gesagt getan und der Mann ist flugs unterwegs zu seiner Frau. Doch die Frau des Jadekaisers macht ihm im wahrsten Sinn des Wortes einen Strich durch die Rechnung und trennt die beiden Liebenden durch eine Linie quer am Himmel. So erklärte man sich in China früher die Existenz der Milchstraße. Für immer getrennt, weinen und klagen der Kuhhirte und die Weberin – jeder auf seiner Seite der Grenze. Das konnte der Jadekaiser nicht mitansehen und erlaubte ihnen sich einmal im Jahr zu sehen. Dies sollte am 7. Tag des 7. Monats geschehen. Eine Brücke aus Elstern gestattet den beiden die Linie am Himmel zu überqueren. Eine Ausnahme bilden Regentage, denn dann kann der Übergang nicht entstehen. Eine Version des Mythos erzählt, dass eigentlich vorgesehen war, dass sich das Paar einmal im Monat sehen sollte, aber die Botin – eine Elster – überbrachte stattdessen irrtümlich die Nachricht, dass es nur einmal im Jahr die Möglichkeit gab.[4]
Indien
Von dem Reich der Mitte geht es nun nach Indien. Dass Kühe hier als heilig gelten und ihr Fleisch nicht gegessen werden darf, ist vielen Leuten ein Begriff. Doch warum gerade dieses Tier und nicht Schweine oder Schafe? Die Antwort liegt, wie so oft, in alten Glaubensvorstellungen und Mythen. Wenn man über Rinder in der indischen Mythologie recherchiert, dann stößt man sehr schnell auf eine heilige Kuh namens „Surabhī“ sowie auf den göttlichen Stier „Nandī“. Nun Ladies first – wie es so schön heißt – und deshalb macht Surabhī den Anfang.
Die Kuh Surabhī gilt als Tochter des Gottes Daksa, der in der Glaubensvorstellung als Sinnbild für Macht und Ritual angesehen wird. So ist es auch nachvollziehbar, dass Surabhī bei einer äußerst bedeutenden rituellen Handlung der hinduistischen Gottheiten geboren wurde: „Der Verquirlung des Milchmeeres“. Bei dieser Erzählung handelt es sich um einen alten Schöpfungsmythos, auf dem zahlreiche andere Mythen basieren. Der Milchozean wurde von den Göttern und Dämonen mittels eines gewaltigen Quirls umgerührt und verschiedene mythische Wesen kamen zum Vorschein. Bei einem davon handelt es sich um die heilige Kuh Surabhī. Aus diesem Grund ist sie ein Symbol für Fortpflanzung und Überfluss. Ein weiterer Aspekt von Surabhī ist ihre Fähigkeit Wünsche zu erfüllen. In dieser Rolle wird sie als „Kāmadheunu“ bezeichnet, was übersetzt „Wunschkuh“ bedeutet. Doch nicht nur das Tier selbst ist heilig, sondern auch alles, was aus Surabhī herauskommt. Milch, Urin und Kot wurden als Heilmittel oder Prophylaxe gegen Krankheiten angesehen. Die Ausscheidungen haben laut den Glaubensvorstellungen einen verjüngenden Effekt. Eine Form, in der Surabhī angebetet wird, stellt eine junge Frau mit einem Kuhkopf dar. In den Händen hält die Gottheit als charakteristische Objekte ein Wassergefäß sowie Grasbüschel. Aus Ägypten etwa kennt man ebenfalls eine kuhköpfige Gottheit der Liebe, Fruchtbarkeit und Schönheit namens Hathor. Der Wohnsitz von Surabhī liegt laut dem Mythos im Paradies von Krishna am heiligen Berg Meru.[5]
Von der heiligen Kuh folgt nun eine Betrachtung des Stieres bezüglich seiner Symbolik im Hinduismus. Das Wort für Stier lautet in Sanskrit „Vŗșan“ und wie auch in anderen Kulturen steht das Tier für Männlichkeit und Stärke. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen einem weißen und einem schwarzen Stier.
Der weiße Stier mit dem schwarzen Schweif trägt den Namen „Nandī“, was übersetzt soviel wie „der Glückliche“ bedeutet. Auf dem prächtigen Tier reitet niemand geringeres als der mächtige Gott Śiva. Manchmal trägt Nandī aber auch andere Gottheiten, die mit Śiva in Verbindung stehen wie dessen Gattin Pārvatī. Weiters galt der Stier als eine mögliche Gestalt von Śiva. Der Gott wird als der Herr und Bezwinger von allem Triebhaften bezeichnet, was ihn zum Besten aller Asketen macht. Auch damit steht Nandī in Verbindung und zwar in Form seines Hufabdrucks („Nandīpāda„). Dieser wird im Hinduismus als glückverheißendes Symbol angesehen, aber soll die Menschen auch ermahnen, religiöse Bräuche und moralische Gebote nicht zu vergessen. Die vier Beine von Nandī werden jeweils einem abstrakten Begriff zugeordnet: Wahrheit, Reinheit, Mitleid und Freigiebigkeit. In Zusammenhang mit Nandī existiert im Hinduismus die Vorstellung, dass man sich von allem Übel reinwäscht, wenn man den Schweif eines Stieres berührt. Neben diesen ganzen Aspekten des göttlichen Stieres darf nicht unerwähnt bleiben, dass in seinen Aufgabenbereich auch der Schutz aller vierbeinigen Tiere fällt.[6]
Wie bereits erwähnt existiert – neben dem weißen Stier Nandī – noch die Vorstellung von einem schwarzen Stier, der in den Mythen mit dem Namen Mahișa (dt. Büffel) bezeichnet wird. Dieser dient ebenfalls einer Gottheit als Reittier. Anhand der Fellfarbe des Tieres denkt man sofort an etwas Dunkles und so ist es nicht verwunderlich, dass es sich bei dem Reiter um Yama, den Gott des Todes, handelt.[7] Auf Yama wird im Folgenden noch einmal Bezug genommen.
Doch zuvor soll hier noch ein weiterer Mythos aus dem Hinduismus, der in Zusammenhang mit einem Büffel namens Mahișa steht, genannt werden. Es ist die Erzählung über den Kampf der Göttin Tripurā Sundarī (auch Durga oder Kali genannt) mit dem übermächtigen Büffeldämon Mahișa. Der Dämon wird als so mächtig beschrieben, dass kein Gott gegen ihn im Kampf eine Chance hatte. In einer Version des Mythos werden die Götter von dem Dämon und seinem Heer sogar aus ihrer Wohnstätte (Swarga) vertrieben. Also taten sich die Mächtigsten von ihnen (namentlich erwähnt werden u.a. Indra, Brahma, Vishnu, Śiva, Surya, Yama und Varuna) zusammen und schufen aus ihrem feurigen Atem eine gewaltige Göttin namens Tripurā Sundarī. In ihr vereinigten sich sowohl positive als auch zerstörerische Kräfte der Gottheiten. Es wird auch berichtet, welcher Körperteil der Göttin, welcher Gott aus seinem Atem schuf z.B. Śiva das Gesicht oder Yama das Haar. Weiters gaben die Götter Tripurā Sundarī einige ihrer Waffen oder Attribute für die Schlacht gegen den Büffeldämon mit. Auf Darstellungen sieht man die Göttin als junges Mädchen mit 8 bzw. 18 Armen, in denen sie eine Vielzahl eben dieser Attributen trägt. Laut Mythos dauerte der Kampf an, denn zunächst musste das Dämonenheer besiegt werden. Dann erst kam der eigentliche Zweikampf mit dem Büffeldämon, der seine Gestalt verändern konnte, wie in etwa die eines Kriegers oder eines Löwen. So machte er es Tripurā Sundarī nicht leicht ihn zu vernichten, doch am Ende war die Göttin siegreich. Dargestellt als „Mahișāsuramardinī“ („Besiegerin des Büffeldämons“) wird Tripurā Sundarī mit einem Fuß auf dem liegenden Büffel oder nur auf dessen Haupt stehend gezeigt.[8]
Tibet
Zum Abschluss soll noch ein Blick nach Tibet geworfen werden, denn auch hier kennt man eine Erzählung über einen überirdischen Kampf gegen einen Gott mit Büffelkopf. Im Kapitel über Indien wurde dieser bereits kurz vorgestellt: Yama, der Gott des Todes. Dieser ist auch im Buddhismus bekannt und zwar mit einem Büffelhaupt als Kopf. Zu ihm existiert ein Mythos, der mit der Überwindung des Todes endet. In der Glaubensvorstellung des Mahayana Buddhismus kennt man die „Bodhisattvas“, Wesen die nach Erleuchtung streben. Manjushrî, der Bodhisattva der Weisheit („prajñā“), forderte den Todesgott Yama zum Kampf heraus. Ein Aspekt von Yama im buddhistischen Glauben ist nämlich die Verbindung des Gottes mit der Unwissenheit. Aus diesem Grund muss es der Bodhisattva der Weisheit sein, der auch als Lichtbringer und Feind der Dämonen der Dunkelheit gilt. Um gegen den Totengott zu bestehen, nahm Manjushrî seine zornvolle Gestalt an. Am Ende siegte die Weisheit über den Tod, was sich im Aussehen von Manjushrî niederschlug. Als „Yamāntaka“ (dt. „Bändiger des Yama“ oder „der dem Yama ein Ende macht“) oder „Yamāri“ (dt. „Yamafeind“) trägt er nun den Büffelkopf seines Gegners, wie auf der Abbildung deutlich zu sehen ist. Ein anderer Name von Manjushrî lautet „Vajrabhairava“, was übersetzt „Überwinder des Todes“ bedeutet. So wird der Gott Yama als dunkler Aspekt des Bodhisattva Manjushrî gedacht und in das Erleuchtungswesen integriert. Die Chitipati, die tanzenden Skelette, gehören zur Dienerschaft des büffelköpfigen Totengott Yama.[9] Diese Wesen begegnen Besuchern auf Objekten im Museum. Eines davon – ein Opferkabinett – stand bereits im Rahmen des Objekts des Monats Dezember 2017 im Rampenlicht.
Über den Kampf zwischen Manjushrî und Yama gibt es noch eine weitere Version, vor allem was die Entstehung von Yama selbst betrifft. Dieser war eigentlich zunächst ein Mensch, der als Mönch lebte. Eines Nachts drangen zwei Diebe in seine Hütte ein und töteten dort einen gestohlenen Stier, in dem sie ihm den Kopf abschlugen. Auch Yama, der um sein Leben flehte, enthaupteten die Verbrecher. Da der Mönch es beinahe geschafft hatte, die Erleuchtung zu erlangen, waren in ihm bereits überirdische Mächte am Werk. So packte der Körper von Yama den Kopf des Stieres und setzte ihn auf seine Schultern. So wurde der einst friedliche Mönch zu einem alles verwüstenden Untier, das zunächst seine beiden Mörder tötete. Bevor Yama den anderen Menschen etwas zu leide tun konnte, griff Manjushrî ein und besiegte den Wüterich im Zweikampf. In dieser Version gibt Manjushrî dem Yama eine wichtige Aufgabe, denn er wird zum Beschützer der buddhistischen Lehre („Dharmapala“). Doch damit ist Yamas Arbeit nicht getan, denn zusätzlich wird er von Manjushrî auch zum Totenrichter erhoben.[10]
Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl in China, Indien, aber auch in Tibet das Rind, die Kuh oder der Stier von großer, mythologischer Bedeutung war – sowohl als Symbol und Allegorie, aber auch als Gottheiten. Das gilt natürlich für zahlreiche vergangene, aber auch heutige Kulturkreise auf der Welt. Auch Österreich ist davon nicht ausgenommen, bedenkt man das prächtig geschmückte Weidevieh beim Abtrieb von den Almen, was die landwirtschaftliche Bedeutung des Rindes im Brauchtum abbildet. Es zeigt aber vor allem auch, wie groß die Gemeinsamkeiten der Kulturen sind, obwohl man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann.
Text: Mag. Verena Lang
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1-5: Eigene Fotos der Autorin.
Abb. 6: Schmoeckel, Ingo: Vorhängeschlösser in Asien aus der Sammlung Ingo Schmoeckel. Eigenverlag – Oberursel – 2007. S. 5 (Nr. IX, 9-11).
Abb. 7: Eberhard, Wolfram: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen. Heinrich Hugendubel Verlag – Kreuzlingen/München – 2004. S. 243.
Abb. 8: Kaminski, Gerd: Von Drachenbooten und Mondhasen – Die chinesischen Jahresfeste. Berichte des Österreichischen Instituts für Chinas und Südostasienforschung, Nr. 70. Löcker Verlag – Wien – 2015. S. 201.
Abb. 9: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 184.
Abb. 10: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 148.
Abb. 11: Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986. S. 122.
Abb. 12: Auboyer, Jeannine; Beurdeley, Michel u.a.: Handbuch der Formen- und Stilkunde Asien. Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz – 1980. S. 62.
Abb. 13: Tibet – Buddhas, Götter, Heilige. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Museum der Kulturen Basel. Prestel Verlag – München – London – New York – 2001. S. 87.
Abb. 14: Schumann, Hans Wolfgang: Buddhistische Bilderwelt. Ein ikonographisches Handbuch des Mahayana- und Tantrayana-Buddhismus. 3. Aufl. Eugen Diederichs Verlag – München – 1986. S. 187.
Abb. 15: Tibet – Kunst des Buddhismus. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst, München, 6. August bis 16. Oktober 1977. S. 27.
Literaturverzeichnis:
Auboyer, Jeannine; Beurdeley, Michel u.a.: Handbuch der Formen- und Stilkunde Asien. Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz – 1980.
Eberhard, Wolfram: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen. Heinrich Hugendubel Verlag – Kreuzlingen/München – 2004.
Guter, Josef: Lexikon der Götter und Symbole der alten Chinesen. Handbuch der mystischen und magischen Welt Chinas. Marix Verlag GmbH – Wiesbaden – 2004.
Hart, George: Ägyptische Mythen. Eine Einführung. Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG – Stuttgart – 2016.
Kaminski, Gerd: Von Drachenbooten und Mondhasen – Die chinesischen Jahresfeste. Berichte des Österreichischen Instituts für Chinas und Südostasienforschung, Nr. 70. Löcker Verlag – Wien – 2015.
Knappert, Jan: Lexikon der indischen Mythologie – Mythen, Sagen und Legenden von A-Z. Hrsg. Michael Görden und Hans Christian Meiser. Seehamer Verlag GmbH -Weyarn – 1997.
Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Phaidon Verlag – Essen – 1869.
Levenson, Claude B.: Symbole des Buddhismus – Der tibetische Weg. Bechtermünz Verlag – Augsburg – 1999.
Schleberger, Eckard: Die indische Götterwelt – Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. 1. Aufl. Eugen Diederichs Verlag GmbH – Köln – 1986.
Schmoeckel, Ingo: Vorhängeschlösser in Asien aus der Sammlung Ingo Schmoeckel. Eigenverlag – Oberursel – 2007.
Schumann, Hans Wolfgang: Buddhistische Bilderwelt. Ein ikonographisches Handbuch des Mahayana- und Tantrayana-Buddhismus. 3. Aufl. Eugen Diederichs Verlag – München – 1986.
Tibet – Buddhas, Götter, Heilige. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Museum der Kulturen Basel. Prestel Verlag – München – London – New York – 2001.
Tibet – Kunst des Buddhismus. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst, München, 6. August bis 16. Oktober 1977.
Nachweise:
[1] Vgl. Eberhard, S. 242; Guter, S. 41.
[2] Vgl. Eberhard, S. 242f., 298; Guter, S. 41.
[3] Vgl. Eberhard, S. 298; Guter, S. 41.
[4] Vgl. Eberhard, S. 298f.; Guter, 196ff.; Kaminski, S. 199f. Zu den Ritualen und Bräuchen rund um den Mythos: Vgl. Kaminski, S. 202-212.
[5] Vgl. Knappert, S. 166; Kurts, S. 22; Schleberger, S. 184. Zur Verquirlung des Milchmeeres vgl. Schleberger, S. 173ff. Zu Hathor vgl. Hart, S. 60, 91; Kurts, S. 58.
[6] Vgl. Knappert, S. 222; Schleberger, S. 184f.
[7] Vgl. Schleberger, S. 178.
[8] Vgl. Knappert, S. 108-112; Schleberger, S. 121f.
[9] Vgl. Levenson, S. 115f.; Schumann, S. 141; Tibet – Buddhas, Götter, Heilige, S. 86.
[10] Vgl. Guter, S. 362f.