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Objekt des Monats Februar 2024

Objekt des Monats Februar 2024

Embriachi Kästchen

Wollten Sie schon immer wissen, was man einer Braut im 15. Jahrhundert schenkte?
Begeben Sie sich mit dem Objekt des Monats auf eine spannende Reise in eines der bedeutendsten Kunstzentren Europas – nach Italien. Ein florentinischer Bildhauer, genannt Baldassare degli Embriachi, betrieb Ende des 14. Jahrhunderts eine der führenden Werkstätten für Arbeiten aus Bein. Diese Erzeugnisse sind bis heute weit über Italien hinaus bekannt und geachtet.

Abb. 1: Embriachi Kästchen

Das Objekt

Inv. Nr.: 4816

Maße: 21x13x17cm

Standort: 1. Stock, Vitrine 18

Das gezeigte Exponat (Abb. 1) ist dieser Werkstatt zugeschrieben und war als ein Präsent für eine Braut gedacht. In einer kleinen Kassette, gefertigt aus Holz mit kunstvoll ausgestalteten und aufgelegten Platten aus Bein, konnten Schmuck und verschiedene Toilettartikel aufbewahrt werden. Im unteren Bereich der quaderförmigen Kassette sind Schnitzereien von Figurenpaaren, die in Reliefs angebracht sind. An den Ecken befinden sich jeweils eine Person mit Schild und Stock in der Hand, sogenannte Schildwachen. Der aufklappbare Deckel ist als schräges Dach stilisiert. Auf diesem befinden sich neben einem Griff, mehrere abgesetzte Reihen von verschiedenfarbigen „Certosina Mustern“ und eine weitere geschnitzte Reliefumrandung mit entblößten Genien, die sich zwischen Rosenblättern einander zuwenden. Auf den kurzen Seiten befinden sich zwei blanke Wappenschilde.

Abb. 2: Embriachi Kästchen, Rückseite

Die Embriachi Werkstatt

Um ein besseres Verständnis für diese Erzeugnisse zu bekommen werfen wir einen Blick in die Werkstatt der Embriachi. Baldassare degli Embriachi gehörte einer hoch angesehenen Patrizierfamilie an. Als florentinischer Bürger geboren, übte Baldassare mehrere Berufe aus. Er konnte sich nicht nur als Bankier, politischer Agent und erfahrener Kaufmann behaupten, sondern war auch Bildhauer. Wobei er seine persönlichen Fähigkeiten nicht immer aktiv in der Werkstatt auslebte.[1] Vielmehr war Baldassare die organisatorische und führende Kraft dahinter. Er startete seinen Erfolg in Florenz, siedelte im Jahr 1395 aber aufgrund von politischen Motiven mit seinem Betrieb nach Venedig.[2] Der Erfolg des Unternehmens beruhte auf einer sehr gut strukturierten Arbeitsteilung. Er stellte dafür Bildschnitzer, Hilfskräfte, Intarsienmacher, Tischler, Vergolder uvm. an, um eine effiziente Arbeitsausführung zu gewährleisten.[3]

Es gibt kaum Informationen wie die Handwerksbetriebe dieser Zeit aufgestellt waren. Jedoch ist Embriachis Werkstatt hier die große Ausnahme. Man weiß, dass mit den beinahe hunderten Angestellten eine industrielle Massenproduktion stattfand. Dabei wurden verschiedenste Kästchen und Truhen, aber auch Altaraufsätze, Spiegel, Kämme, Stilettgriffe, Petschaftsgriffe und andere Erzeugnisse angefertigt.[4] Darüber hinaus war diese Werkstatt die Einzige, die neben profanen auch religiöse Arbeiten schuf. Zudem gilt sie, laut Martini, als älteste Werkstatt für genagelte Figuren.[5]

Abb.3: Detail Figuren

Die einzelnen Beinplatten und Teile der kleineren Erzeugnisse, die eher als Handelsware anzusehen sind, wurden demnach auf Vorrat produziert und konnten nach Belieben kombiniert werden. Daher passierte es oftmals, dass die Figuren weder im Maßstab noch in den Maßen der verwendeten Beinstücke zusammenpassten. Bei den fertigen Stücken ist daher häufig die ursprüngliche Flickarbeit teilweise sichtbar gewesen. Meist hatten die Kästchen eine rechteckige Form (Abb. 2), die unter Umständen aber auch sechs- bzw. achteckig sein konnten. Nur selten kamen quadratische Formen vor. Häufig wurden die Objekte auf kugel- oder tatzenförmige Füße gestellt. Größere Arbeiten wurden nur nach Auftrag angefertigt. Der Preis schwankte je nach Ausführung und Qualität. Aber dadurch konnte die Werkstatt einen großen Markt bedienen und fand zahlreiche Abnehmer:innen in diversen Gesellschaftsschichten.[6]

Material und Certosina Technik

Anders als zu dieser Zeit in Frankreich, wo Elfenbein das vorherrschende Material war, hat sich die Werkstatt der Embriachi auf das Material Bein spezialisiert. Meist fanden dafür Knochen von Pferden, Rindern oder Nilpferd- und Walrosszahn Verwendung. Pferdeknochen fallen durch ihre harte und poröse Textur auf, welches sie von Elfenbein unterscheidet. Der Werkstoff besticht zudem durch seine natürliche Farbe, die meist in den Erzeugnissen beibehalten wurde.[7] Gegebenenfalls wurde das Bein auch gebleicht, um einen schöneren und ebenmäßigeren Farbton zu erhalten oder auch eingefärbt. Üblicherweise wurden die dünnen Beinplättchen auf einen Holzkörper genagelt. Da Knochen meist keine flache Form aufweisen, haben die Platten, aus denen die Figuren (Abb. 3) geschnitzt wurden, eine leicht gewölbte Form.

Neben den Schnitzereien finden sich die sogenannten „Certosina Muster“ (Abb. 4) auf den Erzeugnissen der Embriachi Werkstatt. Der Begriff „Certosamosaik“ oder „Certosina Technik“ leitet sich vermutlich vom Kloster Certosa di Pavia[8] ab, wo sich ein Altaraufsatz der Werkstatt Embriachi befindet. Diese Kunst wurde auch in Venedig in den Klöstern[9] der Lombardei häufig verwendet. Unter dieser Technik versteht man, ähnlich wie bei Intarsien, das Einlegen von geometrischen Mustern aus verschiedenen Materialien in abweichender Färbung auf einer Holzunterlage. Neben den farbigen Hölzern kam auch Elfenbein und Perlmutt als Einlegematerial hinzu. Somit entsteht eine Verzierung in einer Ebene, welche eine Flächenwirkung hervorruft. Dabei schnitt man aus der Grundfläche das gewünschte Muster mit einem Schnittmesser aus und legte in die Öffnung das andersfarbige Holz oder Bein, welches ebenfalls mit einem Messer zugeschnitten wurde. Meist war der Grund dunkel gehalten und das Muster hell eingelegt. 1478 gab es in Florenz 84 Werkstätten von Intarsienmachern, wohingegen die ältesten Arbeiten in Italien aus dem 14. Jahrhundert stammen dürften. Heute wird in Indien diese Art der Technik unter dem Namen „Bombaymosaik“ weitergeführt.[10]

Abb.3: Detail Figuren

Verwendung und Darstellung

Nun stellt sich die Frage nach den Darstellungen auf den Werken der Embriachi. Zu sehen ist auf jedem Beinstück eine abgeschlossene Figurengruppe oder in anderen Fällen einzelne Figuren. Nur selten greifen sie in eine andere Beinplatte über, was eine gewisse Steifheit hervorruft.[11] Die Gewand- und Faltenmotive sind sehr einfach gehalten und die dargestellten Personen wirken schlank und jugendlich. Dabei wurden meist die Frauen in edel herabfließenden Kleidern dargestellt. Wobei Geschlechtsunterschiede kaum betont wurden. Dies könnte, laut Schlosser, auf den Mangel eines Modellstudiums zurückzuführen sein.[12] Den Korpus des Kästchens schließt ein sich nach oben verjüngender Deckel ab, der aus einem Gesims mit Profilierung und Intarsien besteht. Zudem ist die untere Wulst aus Bein umgeben, wo nackte Genien mit Wappenschildern in Rosenblättern schweben.[13]

Durch die große Anzahl an hergestellten Embriachi Erzeugnissen gibt es ein ebenso vielfältiges Angebot an Darstellungen. Julius Schlosser[14] fasst diese in fünf Gruppen zusammen:

1. Darstellungen aus dem Altertum

   z.B.: Pyramus und Thisbe

2. Romantische Darstellungen

   z.B.: Geschichte der Griseldis

3. Darstellungen aus den Kreisen der höfischen Minne

   z.B.: minnende Paare oder Schildwachen an Ecken

4. Darstellungen aus dem scholastischen Kreis

   z.B.: Die sieben Tugenden

5. Religiöse Darstellungen

   z.B.: Heiligenfiguren

Gängige Motive sind Darstellungen aus dem antiken oder mittelalterlichen Sagenkreis, religiöse Motive, Tierdarstellungen, höfische Szenen oder lediglich Paardarstellungen.

An den Ecken finden sich entweder Türme mit kleinen Figuren unter Bögen, gedrehte Säulen oder auch Schildwachen, wie es bei unserem Objekt des Monats der Fall ist. Die Szenen werden meist fortlaufend erzählt und nur durch die Eckfiguren unterbrochen. Die Kästchen dienten, wie zuvor angesprochen, oftmals als Brautgeschenk. Da Embriachi auf Vorrat arbeitete, wurden die Wappenschilder im Deckel (Abb. 5) in den meisten Fällen für heraldische Insignien blank gelassen und erst beim Kauf individualisiert. So konnten bei einem Brautgeschenk in die Embleme das Wappen der Braut und des Bräutigams eingeschnitzt werden.[15]

Abb. 5: Embriachi Kästchen, Seitenansicht

Wenn nun Ihr Interesse an diesen speziellen Kästchen geweckt ist, besuchen Sie gerne die Schell Collection und werfen einen Blick auf die Sammlung.

Text: Jasmin Längle, MA

 

Literaturverzeichnis

Schlosser, Julius von: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Band 20, Wien 1899, S. 220-283.

Martini, Luciana: „Bottega degli Embriachi“. Cofanetti e cassettine tra Gotico e Rinascimento, Flero 2001.

Semper Hans: Ueber ein italienisches Beintriptychon des XIV. Jahrhunderts im Ferdinandeum und diesem verwandte Kunstwerke, Ferd.-Zeitschrift, III. Folge, Heft 40, Innsbruck 1896, S. 147-178.

Ritchie, Carson I. A: 7 Carvers to Kings – The Embriachi. In: Bone and horn carving: a pictorial history. New Jersey 1975, S. 89-102.

Trexler, Richard C.: MISZELLEN. THE UBRIACHI AT SANTA MARIA NOVELLA. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Band 32, Heft 3, Florenz 1988, S. 519-521.

Scherer Christian: Technik und Geschichte der Intarsia, Leipzig 2012.

 

Abbildungsnachweis

Abb. 1-5: Embriachi Kästchen, Inv. Nr. 4816, Schell Collection, Graz.

 

[1] Leiter der Werkstatt war Giovanni di Jacopo.

[2] Martini, Luciana: „Bottega degli Embriachi“. Cofanetti e cassettine tra Gotico e Rinascimento. Flero 2001, S. 14,21 und Schlosser, Julius von: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Band 20. Wien 1899, Seite 220-283, hier: S. 244.

[3] Schlosser 1899, S. 244, 250-251.

[4] Semper Hans, Ueber ein italienisches Beintriptychon des XIV. Jahrhunderts im Ferdinandeum und diesem verwandte Kunstwerke, Ferd.-Zeitschrift, III. Folge, 40. Heft. Innsbruck 1896, S. 147-178, hier: 177.

[5] Martini, 2001, S. 10.

[6] Semper, 1896, S. 151-177.

[7] Semper, 1896, S. 149.

[8] Die Certosa die Pavia ist ein Kloster in der italienischen Provinz Pavia in der Region Lombardei.

[9] Certosa steht für: Kartause, ein Kloster des Kartäuserordens (https://de.wikipedia.org/wiki/Certosa Zugriff: 27.01.2024).

[10] Scherer, Christian: Technik und Geschichte der Intarsia. Leipzig 2012, S.13-23.

[11] Semper, 1896, S. 149.

[12] Schlosser, 1899, S.275-278.

[13] Semper, 1896, S. 166.

[14] Schlosser, 1899, S. 260-272.

[15] Martini, 1899, S. 9,14 und Ritchie, Carson I. A: 7 Carvers to Kings – The Embriachi. In: Bone and horn carving. a pictorial history. New Jersey 1975, S. 89-102, hier: S. 100.