Die Göttin Hekate im Zusammenhang mit einem antiken Schlüssel
Wenn man sich zu Schlüssel und Schlössern in antiker Zeit informieren möchte, so sind die schriftlichen Quellen eher spärlich. Weiters sind nur wenige Objekte aus dieser Epoche erhalten, wenn dann eher die Schlüssel als die Schlösser. Der römische Hebe-Schiebe-Schlüssel, der diesen Monat im Zentrum des Interesses steht, ist eines davon. Schlüssel generell haben eine hohe Symbolkraft und sind Attribute der Macht. Aus diesem Grund lohnt es sich bei den Recherchen auch einen Blick auf antike Gottheiten zu werfen. Dann trifft man unweigerlich auf Hekate. Auf Darstellungen, aber auch in schriftlichen Quellen, kann man eine Verbindung zwischen dieser Göttin und antiken Schlüsseln erkennen. Ein Beispiel wäre eine Skulptur aus dem römischen Reich (Abb. 1), bei dem die Göttin einen ähnlichen Hebe-Schiebe-Schlüssel als Attribut trägt. Warum Statuen der Hekate ausgerechnet diesen Gegenstand in der Hand halten und was es sonst mit der Göttin auf sich hat, ist das Thema dieses Artikels.
Das Objekt
Inv.-Nr. 5593, Länge: 9,8 cm, Gewicht: 130 g
Dieses Mal ist das Objekt des Monats weder besonders prunkvoll noch aus einem außergewöhnlichen Material hergestellt – es handelt sich um einen schlichten Schlüssel (Abb. 2) aus geschmiedetem Eisen. Allerdings passt das Objekt hervorragend, da es ungefähr in derselben Epoche angefertigt wurde, aus der auch die Statue der Hekate (Abb. 1) stammt. Das Exponat stammt aus dem 1.-2. Jahrhundert n. Chr. und diese Art von Schlüssel wird in der Literatur häufig als „Hebe-Schiebe-Schlüssel“ bezeichnet. Bereits im antiken Griechenland kannte man diese Art der Sperrtechnik. Die dazugehörigen Schlösser wurden als „Balanosschlösser“ bezeichnet. „Balanos“ bedeutet übersetzt „Eichel“ und bezeichnet die vertikalen Holzstücke, die den Riegel sicherten. Bei dieser Technik war es notwendig zuerst mit dem Schlüssel diese vertikalen Klötze des Schlosses zu heben. Anschließend konnte man den Riegel des Schlosses mit dem Schlüssel horizontal schieben und das Schloss war aufgesperrt.[1] Der Griff des Schlüssels (Abb. 3) ist rund und man sieht ein kreisförmiges Loch, welches zum Befestigen des Schlüssels an einem Schlüsselring oder Gürtel gedient haben wird. Auf der unteren Seite des Griffs befinden sich links und rechts zwei kleine Fortsätze. Bei dem Schlüssel ist kein Gesenk vorhanden und der Schaft verjüngt sich nach unten hin zum Schlüsselbart. Wie bei einem Hebe-Schiebe-Schlüssel typisch ist der Bart (Abb. 4) um rund 90° Grad seitlich abgeknickt. Man sieht vier Zähne, die zum Heben der Fallen notwendig waren.
Das Exponat ist bereits seit 1990 in der Sammlung und im 1. Stock des Museums ausgestellt. Dort wartet der Schlüssel zusammen mit vielen weiteren Varianten von antiken Schlüsseln an einer Wandtafel hängend auf Besucher:innen (Abb. 5 und 6).
Die Göttin Hekate
Wenn man Personen nach einer bekannten griechischen Gottheit der Antike fragen würde, kämen Antworten wie „Zeus“, „Athene“ oder vielleicht auch „Hermes“. Die Göttin Hekate wäre wahrscheinlich nicht unter den genannten Namen. Und dass obwohl sie laut antiken Quellen wie Hesiod (ca. 740-670 v. Chr.) eine unglaubliche Fülle an Macht inne hatte.[2] Die Göttin war nicht von schlechten Eltern – genannt werden das Titanenpaar Asteria und Perses. Hekate wird ausdrücklich als Einzelkind beschrieben („monogenes“). Ihre göttliche Macht erstreckte sich dreifach: auf Erde, Meer und Himmel. Hier trifft man bereits auf den Aspekt der Dreiheit, der sich aber im Lauf der Jahrhunderte veränderte.[3] Als die Titanen von Zeus und seinem neuen Göttergeschlecht besiegt worden waren, verloren fast alle Titanen ihre Macht. Bei Hekate machte Zeus eine Ausnahme und ließ ihr alle ihre Rechte und Ehrungen. Warum? Darüber schweigt Hesiod.[4]
Man kannte eine Tochter der Hekate, ein wirklich gefürchtetes Ungeheuer namens Skylla. Der Kopf und Oberkörper war der eines jungen Mädchens, von der Hüfte abwärts bestand sie aus sechs Hundekörpern. Skylla lebte gemeinsam mit dem Meerungeheuer Charybdis an der Meerenge von Sizilien. Dort hatte man als Seefahrer die grausame Wahl ob man von Skylla in Stücke gerissen oder von Charybdis verschlungen wird.[5] „Sich zwischen Skylla und Charybdis zu befinden“ bedeutet heute noch als Sprichwort, dass man nur verlieren kann. Die Frage ist alles (Charybdis) oder nur teilweise (Skylla).
Was den Namen „Hekate“ betrifft, so wird er meistens mit „die, in der Ferne“ übersetzt. Dieser Name verbindet sie mit der Jagd- und Mondgöttin Artemis, die manchmal den Beinamen Hekate trägt. Ihrem Zwillingsbruder Apollon, dem Sonnengott, ist oft die Bezeichnung „Hekatos“ beigefügt.[6] Beides passt sowohl für Sonne als auch den Mond, denn sie befinden sich in weiter Ferne. Weiters kann der Mond als die Verbindung von Hekate mit der Nacht und Dunkelheit sein, was im Folgenden noch thematisiert wird. Man stellte auch eine Verbindung zwischen der mächtigen Hekate und den Reichtümern der Unterwelt her. So kam es zu Überschneidungen mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen Demeter und Persephone. Festzuhalten ist, dass die Göttin vor allem vom einfachen Volk verehrt wurde, insbesondere von Frauen.[7] Über den Aspekt der Hekate als Türwächterin und Schlüsselträgerin wird im letzten Teil des Artikels die Rede sein.
An dieser Stelle ist bereits deutlich geworden, dass Hekate eine vielschichtige und interessante Göttin ist, die eindeutig mehr Beachtung erfahren könnte.
Als nächstes werfen wir einen kurzen Blick auf Hekate als Göttin der Nacht und der Zauberei, vor allem jene von Frauen ausgeführt. Dieser Aspekt wurde vor allem von späteren antiken Autoren, vor allem aus der römischen Zeit, stärker hervorgehoben und ihre eigentlichen Machtgebiete (Erde, Meer und Himmel) quasi verschwiegen. In diesen Quellen bekommt Hekate auch andere Eltern zugeschrieben: die Nyx, die personifizierte Nacht, und Tartaros, den tiefsten und schlimmsten Teil der Unterwelt. Hekate erscheint in der Nacht – begleitet von Hunden und deren Gebell. Manchmal wurde sogar Hekate selbst mit einem Hundekopf dargestellt, da es sich auch um ihr heiliges Tier handelt. Die Göttin trägt Fackeln in der Hand, was wieder auf eine Verbindung mit dem Mond hinweist. Im Lauf der Zeit sind noch andere Attribute wie Dolch, Schlange, Bündel aus Stricken, aber auch der Schlüssel hinzugekommen. Es gibt Darstellungen von Hekate mit drei Körpern und sechs Armen, die verschiedene Attribute in den Händen tragen. Wege und Wegkreuzungen, vor allem die dreifachen, wurden als Bereich der Göttin angesehen. An diesen Orten fanden auch häufig die Opferriten für Hekate statt. Diese beinhalteten verschiedene Speisen und es galt als ungeheuerlicher Frevel, wenn man sich davon etwas stahl. Manche Rituale beinhalteten auch die Tötung von schwarzen, jungen Hunden. An den Wegkreuzungen standen häufig auch Pfähle mit drei Masken bzw. Statuen der Hekate mit drei Körpern. Der Aspekt der Dreiförmigkeit wird in der Forschung auf verschiedene Bereiche zurückgeführt. Es könnte sich zum Beispiel um die die Tageszeiten (Morgen-Mittag-Abend) oder auch um die Lebensphasen einer Frau (Junges Mädchen-Mutter-Alte Frau) handeln.[8] Einige der Rituale für die Göttin Hekate sind durch antike Texte überliefert.[9]
Nach so viel Information über Hekate gilt es noch eine Frage zu beantworten: Woher kommt die Göttin eigentlich? Sie ist nicht griechischen Ursprungs, sondern stammt aller Wahrscheinlichkeit aus einem Gebiet, das in der Antike als Karien bezeichnet wurde. Berühmte Orte wären beispielsweise Halikarnassos oder Milet. Es entspricht einem kleinen Teil des Südwestens der heutigen Türkei.[10]
Das bedeutendste Heiligtum der Hekate lag in dem Ort Lagina. Berühmt sind die Friese des Tempels, die verschiedene mythologische Darstellungen zeigen. Hekate hat hier nur einen Körper. Anders verhält es sich auf einem anderen bekannten antiken Bauwerk: dem Pergamonaltar. Hier sieht man die Göttin Hekate mit Fackeln gegen einen Giganten kämpfen. Ihr dreifacher Körper ist zu erkennen. Weiters existiert noch ein Kultort der Hekate in Karien, nämlich ein runder Altar im Heiligtum des Apollon in der Stadt Milet.[11]
Auch in der Zeit nach der Antike begegnet man Hekate in der Literatur oder der bildenden Kunst. Was Ersteres betrifft, so erscheint die Göttin in einem der bekanntesten Werke von William Shakespeare: Macbeth. Dort wird sie als Herrscherin der Hexen dargestellt. Sie hat ihren großen Auftritt im 3. Akt und unterstützt die drei Hexen bei ihrem Treiben gegen den unseligen Macbeth.[12] Für die bildende Kunst soll hier als Beispiel ein Gemälde von William Blake aus dem Jahr 1795 genannt werden. Dieses trägt den Titel „Die Nacht der Freude von Enitharmon“ und zeigt Hekate mit dreifachem Körper. (Abb. 7)
Beide Beispiele zeigen Hekate als Göttin der Dunkelheit und der Zauberei. Nichts ist von ihrer Erscheinung als mächtige Göttin bei Hesiod geblieben.[13]
Hekate in den Mythen
Die Göttin Hekate verfügt nicht – wie viele andere griechische Gottheiten – über eigene Mythen zu ihrer Person. Wenn sie in den Geschichten auftaucht, dann als Nebenfigur. Meistens aber steht sie Frauen, sterblichen wie auch unsterblichen, hilfreich zur Seite.
Kommen wir als erstes zum Mythos über den Raub der Persephone. Hier tritt Hekate als aktiv handelnde Figur auf. Die Geschichte erzählt davon, dass Persephone, die Göttin des Frühlings, von Hades, dem Gott der Unterwelt und gleichzeitig ihr Onkel, in sein dunkles Reich entführt wurde. Demeter, die Mutter von Persephone und Göttin der Fruchtbarkeit, sucht verzweifelt nach ihrer Tochter, aber niemand konnte oder wollte ihr helfen. Auch Zeus, der Vater von Persephone, bleibt untätig. Erst als Demeter auf die Göttin Hekate trifft, begann sich das Geheimnis um Persephones Verschwinden zu lüften. Laut dem Bericht von Hekate hatte sie den Schrei von Persephone gehört, als Hades das Mädchen auf seinen Streitwagen gezerrt hatte. Leider hatte Hekate nicht gesehen, wer der Entführer war, da die Göttin in ihrer Höhle gewesen war. Einzig der Sonnengott Helios hatte den Missetäter beobachtet. Nun weiß Demeter Bescheid, aber Hades will Persephone nicht zurückgeben. Also nimmt Demeter der Welt alle Fruchtbarkeit und daraufhin muss Zeus eingreifen. Es wird eine Vereinbarung getroffen, dass Persephone zwei Drittel des Jahres bei ihrer Mutter lebt und ein Drittel bei Hades, mittlerweile ihr Gatte. Während ihrer Zeit in der Unterwelt wird Persephone von Hekate begleitet und beschützt.[14] Auf Abb. 8 ist auf einer Nachzeichnung einer Darstellung auf einem antiken Gefäß zu sehen, wie Persephone von Hekate mit zwei Fackeln aus der Unterwelt geleitet wird. Die Schrift über dem Kopf der Göttin lautet „Kate“. Hermes steht neben Persephone und rechts wartet Demeter auf ihre Tochter.
Der Mythos erklärt den Wechsel der Jahreszeiten, denn wenn Persephone in der Unterwelt ist, dann herrscht Winter auf der Erde. Erst wenn Demeter mit ihrer Tochter wiedervereint ist, kehrt der Frühling zurück. Helios ist die allsehende Sonne und beobachtet alles, was an diesem Tag geschieht. Hekate, die Mondgöttin, war in untertags in ihrer Höhle und hat somit alles nur mitangehört.
Hekate galt auch als Göttin, die häufig von Frauen verehrt und um Schutz gebeten wurde. In zwei Mythen wird Hekate um Hilfe angerufen, einmal von Medea und einmal von Dido. Beide Male ist die Liebe zu einem Mann mit im Spiel, die ein tragisches Ende nimmt.[15]
Hekates Rolle im Kampf der olympischen Gottheiten gegen die Giganten wurde bereits erwähnt.[16] In antiken Quellen ist auch überliefert, dass die Göttin zwei in Tiere verwandelte Frauen in ihr Gefolge aufnahm. Einmal Hekabe, die Königin von Troja und Gattin des Priamos, die nach dem Fall der Stadt zu einer schwarzen Hündin wurde.[17] Und dann noch die Hebamme Galinthias, die wegen ihrer List bei der Geburt von Herakles von den Schicksalsgöttinnen bestraft wurde. Sie wurde in ein Wiesel oder einen Iltis verwandelt.[18]
Es gibt aber auch die Geschichte über die Hexe Gale, die aufgrund ihres Handels mit Zaubersprüchen und magischen Gegenständen sowie ihres abnormen Lebenswandels von Hekate in einen Iltis verwandelt wurde.[19]
Hekate und der Schlüssel
Abschließend soll nun der Aspekt von Hekate thematisiert werden, der für den Sammlungsschwerpunkt der Schell Collection am bedeutendsten ist: Die Göttin als Schlüsselträgerin und Wächterin der Eingänge sowie Tore.
In den antiken Quellen wird Hekate neben vielen anderen Beinamen auch als „Schlüsselträgerin“ – auf Altgriechisch „kleidukos“ (κλειδοῦχος) – bezeichnet. Im Lateinischen lautet der Beiname dann entsprechend „clavigera“. Die Statue (Abb. 2) der dreiförmigen Hekate belegt eine Darstellung als Schlüsselträgerin mindestens ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. Eine im Werk von Mallarmé vorliegende Zeichnung (Abb. 9) sowie eine, die sich in der Sammlung des British Museum befindet (Abb. 10), sind antiken Statuen nachempfunden. Der Hebe-Schiebe-Schlüssel ist bei allen drei Beispielen deutlich zu erkennen. Man sagte über Hekate, dass die Göttin den oder die Schlüssel zu den Toren der Unterwelt in den Händen halte. Damit wird ihre Macht unterstrichen, aber eben nicht über einen der drei Bereiche die bei Hesiod erwähnt werden. Schlüssel sind von jeher als ein Symbol der Macht angesehen worden. Im Lauf der Jahrhunderte kann man einige Bespiele dafür ausmachen, wie z.B. die Schlüsselgewalt der Frau (Objekt des Monats November 2023) oder den Kammerherrenschlüssel (Objekt des Monats Oktober 2023 bzw. Objekt des Monats Oktober 2019).[20] Aus Lagina, dem schon erwähnten Kultort der Hekate, kennt man ein jährliches Fest, in welchem der Aspekt der Schlüsselträgerin eine Rolle spielt. Leider ist nicht viel bekannt, aber es ist von einem jungen Mädchen die Rede, das als „Schlüsselträgerin“ fungiert. Dabei spielt das rituelle Tragen des Schlüssels die zentrale Rolle. Weiters werden ein männlicher Priester, der Leiter des Mysterienkultes, ein Tempelaufseher („neokoros“) und mehrere Eunuchen erwähnt.[21]
Ein weiterer Beiname der Hekate – „Propyleia“ (Torwächterin) – bezieht sich auf den Bereich der Eingänge, Türen, Tore und Schwellen. Vor allem im 5. Jahrhundert v. Chr. erfreuten sich Statuen der Hekate zum Schutz der Häuser einer großen Beliebtheit. Diese standen außen vor der Eingangstür oder dem -tor. Berichte in den antiken Quellen gibt es dafür vor allem aus Athen. Hier befanden sich häufig Altäre der Hekate in einer Vielzahl von Häusern. Der Aspekt von Hekate als „Torwächterin“ ist allerdings bereits älter und hat seinen Ursprung in Kleinasien (heute Türkei). In Milet beispielsweise stand eine Abbildung von Hekate vor dem Palast des Herrschers.[22]
An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass es in der Glaubensvorstellung des Römischen Reichs noch eine weitere Gottheit gab, die mit den Ein- und Ausgängen, Türen und Toren in Verbindung steht: Janus. Über ihn und weitere römische Gottheiten in Zusammenhang mit allem Versperrbaren informiert das Objekt des Monats Juni 2021.
Zwischen Hekate und der Göttin Artemis existiert nicht nur der Mond als Gemeinsamkeit, sondern beide gelten als Helferinnen bei Geburten. Wie bereits erwähnt wurde Hekate hauptsächlich von Frauen als Beschützerin in vielerlei Angelegenheiten angerufen. Da die Geburt an sich ebenfalls eine Art Übergang oder Schwelle angesehen werden kann, liegt es nahe, sich des Schutzes von Hekate zu versichern. Die Göttin stand damit in der Glaubensvorstellung sowohl am Anfang des Lebens sowie als Unterweltsgöttin auch an dessen Ende.[23]
Zusammenfassend kann man sagen, dass Hekate nicht nur eine facettenreiche Göttin ist, deren Aspekte zahlreichen Veränderungen erfuhren. Im Lauf der Jahrhunderte wandelte sich die mächtige, dreifaltige Göttin in die Herrin über die Unterwelt und die Zauberei. Vor allem durch letzteres erfreut sich Hekate auch in der heutigen Zeit einer gewissen Beliebtheit. Für die Sammlung der Schell Collection handelt es sich aufgrund ihrer Verbindung zu Schlüssel und Türen um eine äußert interessante göttliche Figur.
Text: Mag. Verena Lang
Quellenverzeichnis:
Aelianus: De natura animalium. Online abgerufen: https://www.theoi.com/Khthonios/Hekate.html (Zugriff 14.2.2023).
Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart. Reinbek bei Hamburg 1974.
Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen – Die Götter und Menschheitsgeschichten, Bd. 1. München 2007.
Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Essen 1869.
Mallarmé, Stéphane: Les dieux antiques – Nouvelle mythologie illustrée d’après George W. Cox. et les travaux de la science moderne. A l’usage de lycées, pensionnats, écoles et des gens du monde. Ouvrage orné de 260 vignettes reproduisant des statues, bas-reliefs, médailles, camées. Paris 1880.
Pryce, Frederick Norman: Keys and locks. In: Oxford classical dictionary, 2015. Online verfügbar: https://doi.org/10.1093/acrefore/9780199381135.013.3527 (Zugriff 12.12.2023).
Sauer, Hertha: Hekate. In: Der kleine Pauly – Lexikon der Antike, Bd. 2. Stuttgart/Weimar 2013. Sp. 982-983.
Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie. Stuttgart 2012.
Zeleny, Karin: Die Göttin Hekate in den Historiae Deorum Gentilium des Lilius Gregorius Gyraldus (Basel 1548) unter besonderer Berücksichtung der Rezeption Hekates in humanistischen Handbüchern und Kommentaren des 16. Jahrhunderts. (Diplomarbeit). Wien – 1999. Online verfügbar: https://www.oeaw.ac.at/kal/mythos/zeleny1999.pdf (Zugriff 7.12.2023).
Abb. 1: Römische Bronzestatue der Hekate (1. Jh. n. Chr.) mit Darstellung eines römischen Hebe-Schiebeschlüssels in der Hand. Kapitolinisches Museums, Rom. https://en.wikipedia.org/wiki/Hecate#/media/File:Hecate_statuette_in_triple_form,_S_2173,_Roman,_1st_century_AD,_gilt_bronze_-_Musei_Capitolini_-_Rome,_Italy_-_DSC06175.jpg (Zugriff 12.12.2023).
Abb. 8: Nachzeichnung einer Darstellung auf einem attischen Krater im Metropolitan Museum of Art. Kokkinou, Sophie: Griechische Mythologie. Athen 1989. S. 35
Abb. 9: Zeichnung einer dreiförmigen Statue der Hekate mit einem Schlüssel in der Hand. In: Mallarmé, Stéphane: Les dieux antiques – Nouvelle mythologie illustrée d’après George W. Cox. et les travaux de la science moderne. A l’usage de lycées, pensionnats, écoles et des gens du monde. Ouvrage orné de 260 vignettes reproduisant des statues, bas-reliefs, médailles, camées. Paris 1880. S. 75.
Göttliche Schlüsselgewalt
Die Göttin Hekate im Zusammenhang mit einem antiken Schlüssel
Wenn man sich zu Schlüssel und Schlössern in antiker Zeit informieren möchte, so sind die schriftlichen Quellen eher spärlich. Weiters sind nur wenige Objekte aus dieser Epoche erhalten, wenn dann eher die Schlüssel als die Schlösser. Der römische Hebe-Schiebe-Schlüssel, der diesen Monat im Zentrum des Interesses steht, ist eines davon. Schlüssel generell haben eine hohe Symbolkraft und sind Attribute der Macht. Aus diesem Grund lohnt es sich bei den Recherchen auch einen Blick auf antike Gottheiten zu werfen. Dann trifft man unweigerlich auf Hekate. Auf Darstellungen, aber auch in schriftlichen Quellen, kann man eine Verbindung zwischen dieser Göttin und antiken Schlüsseln erkennen. Ein Beispiel wäre eine Skulptur aus dem römischen Reich (Abb. 1), bei dem die Göttin einen ähnlichen Hebe-Schiebe-Schlüssel als Attribut trägt. Warum Statuen der Hekate ausgerechnet diesen Gegenstand in der Hand halten und was es sonst mit der Göttin auf sich hat, ist das Thema dieses Artikels.
Das Objekt
Inv.-Nr. 5593, Länge: 9,8 cm, Gewicht: 130 g
Dieses Mal ist das Objekt des Monats weder besonders prunkvoll noch aus einem außergewöhnlichen Material hergestellt – es handelt sich um einen schlichten Schlüssel (Abb. 2) aus geschmiedetem Eisen. Allerdings passt das Objekt hervorragend, da es ungefähr in derselben Epoche angefertigt wurde, aus der auch die Statue der Hekate (Abb. 1) stammt. Das Exponat stammt aus dem 1.-2. Jahrhundert n. Chr. und diese Art von Schlüssel wird in der Literatur häufig als „Hebe-Schiebe-Schlüssel“ bezeichnet. Bereits im antiken Griechenland kannte man diese Art der Sperrtechnik. Die dazugehörigen Schlösser wurden als „Balanosschlösser“ bezeichnet. „Balanos“ bedeutet übersetzt „Eichel“ und bezeichnet die vertikalen Holzstücke, die den Riegel sicherten. Bei dieser Technik war es notwendig zuerst mit dem Schlüssel diese vertikalen Klötze des Schlosses zu heben. Anschließend konnte man den Riegel des Schlosses mit dem Schlüssel horizontal schieben und das Schloss war aufgesperrt.[1] Der Griff des Schlüssels (Abb. 3) ist rund und man sieht ein kreisförmiges Loch, welches zum Befestigen des Schlüssels an einem Schlüsselring oder Gürtel gedient haben wird. Auf der unteren Seite des Griffs befinden sich links und rechts zwei kleine Fortsätze. Bei dem Schlüssel ist kein Gesenk vorhanden und der Schaft verjüngt sich nach unten hin zum Schlüsselbart. Wie bei einem Hebe-Schiebe-Schlüssel typisch ist der Bart (Abb. 4) um rund 90° Grad seitlich abgeknickt. Man sieht vier Zähne, die zum Heben der Fallen notwendig waren.
Das Exponat ist bereits seit 1990 in der Sammlung und im 1. Stock des Museums ausgestellt. Dort wartet der Schlüssel zusammen mit vielen weiteren Varianten von antiken Schlüsseln an einer Wandtafel hängend auf Besucher:innen (Abb. 5 und 6).
Die Göttin Hekate
Wenn man Personen nach einer bekannten griechischen Gottheit der Antike fragen würde, kämen Antworten wie „Zeus“, „Athene“ oder vielleicht auch „Hermes“. Die Göttin Hekate wäre wahrscheinlich nicht unter den genannten Namen. Und dass obwohl sie laut antiken Quellen wie Hesiod (ca. 740-670 v. Chr.) eine unglaubliche Fülle an Macht inne hatte.[2] Die Göttin war nicht von schlechten Eltern – genannt werden das Titanenpaar Asteria und Perses. Hekate wird ausdrücklich als Einzelkind beschrieben („monogenes“). Ihre göttliche Macht erstreckte sich dreifach: auf Erde, Meer und Himmel. Hier trifft man bereits auf den Aspekt der Dreiheit, der sich aber im Lauf der Jahrhunderte veränderte.[3] Als die Titanen von Zeus und seinem neuen Göttergeschlecht besiegt worden waren, verloren fast alle Titanen ihre Macht. Bei Hekate machte Zeus eine Ausnahme und ließ ihr alle ihre Rechte und Ehrungen. Warum? Darüber schweigt Hesiod.[4]
Man kannte eine Tochter der Hekate, ein wirklich gefürchtetes Ungeheuer namens Skylla. Der Kopf und Oberkörper war der eines jungen Mädchens, von der Hüfte abwärts bestand sie aus sechs Hundekörpern. Skylla lebte gemeinsam mit dem Meerungeheuer Charybdis an der Meerenge von Sizilien. Dort hatte man als Seefahrer die grausame Wahl ob man von Skylla in Stücke gerissen oder von Charybdis verschlungen wird.[5] „Sich zwischen Skylla und Charybdis zu befinden“ bedeutet heute noch als Sprichwort, dass man nur verlieren kann. Die Frage ist alles (Charybdis) oder nur teilweise (Skylla).
Was den Namen „Hekate“ betrifft, so wird er meistens mit „die, in der Ferne“ übersetzt. Dieser Name verbindet sie mit der Jagd- und Mondgöttin Artemis, die manchmal den Beinamen Hekate trägt. Ihrem Zwillingsbruder Apollon, dem Sonnengott, ist oft die Bezeichnung „Hekatos“ beigefügt.[6] Beides passt sowohl für Sonne als auch den Mond, denn sie befinden sich in weiter Ferne. Weiters kann der Mond als die Verbindung von Hekate mit der Nacht und Dunkelheit sein, was im Folgenden noch thematisiert wird. Man stellte auch eine Verbindung zwischen der mächtigen Hekate und den Reichtümern der Unterwelt her. So kam es zu Überschneidungen mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen Demeter und Persephone. Festzuhalten ist, dass die Göttin vor allem vom einfachen Volk verehrt wurde, insbesondere von Frauen.[7] Über den Aspekt der Hekate als Türwächterin und Schlüsselträgerin wird im letzten Teil des Artikels die Rede sein.
An dieser Stelle ist bereits deutlich geworden, dass Hekate eine vielschichtige und interessante Göttin ist, die eindeutig mehr Beachtung erfahren könnte.
Als nächstes werfen wir einen kurzen Blick auf Hekate als Göttin der Nacht und der Zauberei, vor allem jene von Frauen ausgeführt. Dieser Aspekt wurde vor allem von späteren antiken Autoren, vor allem aus der römischen Zeit, stärker hervorgehoben und ihre eigentlichen Machtgebiete (Erde, Meer und Himmel) quasi verschwiegen. In diesen Quellen bekommt Hekate auch andere Eltern zugeschrieben: die Nyx, die personifizierte Nacht, und Tartaros, den tiefsten und schlimmsten Teil der Unterwelt. Hekate erscheint in der Nacht – begleitet von Hunden und deren Gebell. Manchmal wurde sogar Hekate selbst mit einem Hundekopf dargestellt, da es sich auch um ihr heiliges Tier handelt. Die Göttin trägt Fackeln in der Hand, was wieder auf eine Verbindung mit dem Mond hinweist. Im Lauf der Zeit sind noch andere Attribute wie Dolch, Schlange, Bündel aus Stricken, aber auch der Schlüssel hinzugekommen. Es gibt Darstellungen von Hekate mit drei Körpern und sechs Armen, die verschiedene Attribute in den Händen tragen. Wege und Wegkreuzungen, vor allem die dreifachen, wurden als Bereich der Göttin angesehen. An diesen Orten fanden auch häufig die Opferriten für Hekate statt. Diese beinhalteten verschiedene Speisen und es galt als ungeheuerlicher Frevel, wenn man sich davon etwas stahl. Manche Rituale beinhalteten auch die Tötung von schwarzen, jungen Hunden. An den Wegkreuzungen standen häufig auch Pfähle mit drei Masken bzw. Statuen der Hekate mit drei Körpern. Der Aspekt der Dreiförmigkeit wird in der Forschung auf verschiedene Bereiche zurückgeführt. Es könnte sich zum Beispiel um die die Tageszeiten (Morgen-Mittag-Abend) oder auch um die Lebensphasen einer Frau (Junges Mädchen-Mutter-Alte Frau) handeln.[8] Einige der Rituale für die Göttin Hekate sind durch antike Texte überliefert.[9]
Nach so viel Information über Hekate gilt es noch eine Frage zu beantworten: Woher kommt die Göttin eigentlich? Sie ist nicht griechischen Ursprungs, sondern stammt aller Wahrscheinlichkeit aus einem Gebiet, das in der Antike als Karien bezeichnet wurde. Berühmte Orte wären beispielsweise Halikarnassos oder Milet. Es entspricht einem kleinen Teil des Südwestens der heutigen Türkei.[10]
Das bedeutendste Heiligtum der Hekate lag in dem Ort Lagina. Berühmt sind die Friese des Tempels, die verschiedene mythologische Darstellungen zeigen. Hekate hat hier nur einen Körper. Anders verhält es sich auf einem anderen bekannten antiken Bauwerk: dem Pergamonaltar. Hier sieht man die Göttin Hekate mit Fackeln gegen einen Giganten kämpfen. Ihr dreifacher Körper ist zu erkennen. Weiters existiert noch ein Kultort der Hekate in Karien, nämlich ein runder Altar im Heiligtum des Apollon in der Stadt Milet.[11]
Auch in der Zeit nach der Antike begegnet man Hekate in der Literatur oder der bildenden Kunst. Was Ersteres betrifft, so erscheint die Göttin in einem der bekanntesten Werke von William Shakespeare: Macbeth. Dort wird sie als Herrscherin der Hexen dargestellt. Sie hat ihren großen Auftritt im 3. Akt und unterstützt die drei Hexen bei ihrem Treiben gegen den unseligen Macbeth.[12] Für die bildende Kunst soll hier als Beispiel ein Gemälde von William Blake aus dem Jahr 1795 genannt werden. Dieses trägt den Titel „Die Nacht der Freude von Enitharmon“ und zeigt Hekate mit dreifachem Körper. (Abb. 7)
Beide Beispiele zeigen Hekate als Göttin der Dunkelheit und der Zauberei. Nichts ist von ihrer Erscheinung als mächtige Göttin bei Hesiod geblieben.[13]
Hekate in den Mythen
Die Göttin Hekate verfügt nicht – wie viele andere griechische Gottheiten – über eigene Mythen zu ihrer Person. Wenn sie in den Geschichten auftaucht, dann als Nebenfigur. Meistens aber steht sie Frauen, sterblichen wie auch unsterblichen, hilfreich zur Seite.
Kommen wir als erstes zum Mythos über den Raub der Persephone. Hier tritt Hekate als aktiv handelnde Figur auf. Die Geschichte erzählt davon, dass Persephone, die Göttin des Frühlings, von Hades, dem Gott der Unterwelt und gleichzeitig ihr Onkel, in sein dunkles Reich entführt wurde. Demeter, die Mutter von Persephone und Göttin der Fruchtbarkeit, sucht verzweifelt nach ihrer Tochter, aber niemand konnte oder wollte ihr helfen. Auch Zeus, der Vater von Persephone, bleibt untätig. Erst als Demeter auf die Göttin Hekate trifft, begann sich das Geheimnis um Persephones Verschwinden zu lüften. Laut dem Bericht von Hekate hatte sie den Schrei von Persephone gehört, als Hades das Mädchen auf seinen Streitwagen gezerrt hatte. Leider hatte Hekate nicht gesehen, wer der Entführer war, da die Göttin in ihrer Höhle gewesen war. Einzig der Sonnengott Helios hatte den Missetäter beobachtet. Nun weiß Demeter Bescheid, aber Hades will Persephone nicht zurückgeben. Also nimmt Demeter der Welt alle Fruchtbarkeit und daraufhin muss Zeus eingreifen. Es wird eine Vereinbarung getroffen, dass Persephone zwei Drittel des Jahres bei ihrer Mutter lebt und ein Drittel bei Hades, mittlerweile ihr Gatte. Während ihrer Zeit in der Unterwelt wird Persephone von Hekate begleitet und beschützt.[14] Auf Abb. 8 ist auf einer Nachzeichnung einer Darstellung auf einem antiken Gefäß zu sehen, wie Persephone von Hekate mit zwei Fackeln aus der Unterwelt geleitet wird. Die Schrift über dem Kopf der Göttin lautet „Kate“. Hermes steht neben Persephone und rechts wartet Demeter auf ihre Tochter.
Der Mythos erklärt den Wechsel der Jahreszeiten, denn wenn Persephone in der Unterwelt ist, dann herrscht Winter auf der Erde. Erst wenn Demeter mit ihrer Tochter wiedervereint ist, kehrt der Frühling zurück. Helios ist die allsehende Sonne und beobachtet alles, was an diesem Tag geschieht. Hekate, die Mondgöttin, war in untertags in ihrer Höhle und hat somit alles nur mitangehört.
Hekate galt auch als Göttin, die häufig von Frauen verehrt und um Schutz gebeten wurde. In zwei Mythen wird Hekate um Hilfe angerufen, einmal von Medea und einmal von Dido. Beide Male ist die Liebe zu einem Mann mit im Spiel, die ein tragisches Ende nimmt.[15]
Hekates Rolle im Kampf der olympischen Gottheiten gegen die Giganten wurde bereits erwähnt.[16] In antiken Quellen ist auch überliefert, dass die Göttin zwei in Tiere verwandelte Frauen in ihr Gefolge aufnahm. Einmal Hekabe, die Königin von Troja und Gattin des Priamos, die nach dem Fall der Stadt zu einer schwarzen Hündin wurde.[17] Und dann noch die Hebamme Galinthias, die wegen ihrer List bei der Geburt von Herakles von den Schicksalsgöttinnen bestraft wurde. Sie wurde in ein Wiesel oder einen Iltis verwandelt.[18]
Es gibt aber auch die Geschichte über die Hexe Gale, die aufgrund ihres Handels mit Zaubersprüchen und magischen Gegenständen sowie ihres abnormen Lebenswandels von Hekate in einen Iltis verwandelt wurde.[19]
Hekate und der Schlüssel
Abschließend soll nun der Aspekt von Hekate thematisiert werden, der für den Sammlungsschwerpunkt der Schell Collection am bedeutendsten ist: Die Göttin als Schlüsselträgerin und Wächterin der Eingänge sowie Tore.
In den antiken Quellen wird Hekate neben vielen anderen Beinamen auch als „Schlüsselträgerin“ – auf Altgriechisch „kleidukos“ (κλειδοῦχος) – bezeichnet. Im Lateinischen lautet der Beiname dann entsprechend „clavigera“. Die Statue (Abb. 2) der dreiförmigen Hekate belegt eine Darstellung als Schlüsselträgerin mindestens ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. Eine im Werk von Mallarmé vorliegende Zeichnung (Abb. 9) sowie eine, die sich in der Sammlung des British Museum befindet (Abb. 10), sind antiken Statuen nachempfunden. Der Hebe-Schiebe-Schlüssel ist bei allen drei Beispielen deutlich zu erkennen. Man sagte über Hekate, dass die Göttin den oder die Schlüssel zu den Toren der Unterwelt in den Händen halte. Damit wird ihre Macht unterstrichen, aber eben nicht über einen der drei Bereiche die bei Hesiod erwähnt werden. Schlüssel sind von jeher als ein Symbol der Macht angesehen worden. Im Lauf der Jahrhunderte kann man einige Bespiele dafür ausmachen, wie z.B. die Schlüsselgewalt der Frau (Objekt des Monats November 2023) oder den Kammerherrenschlüssel (Objekt des Monats Oktober 2023 bzw. Objekt des Monats Oktober 2019).[20] Aus Lagina, dem schon erwähnten Kultort der Hekate, kennt man ein jährliches Fest, in welchem der Aspekt der Schlüsselträgerin eine Rolle spielt. Leider ist nicht viel bekannt, aber es ist von einem jungen Mädchen die Rede, das als „Schlüsselträgerin“ fungiert. Dabei spielt das rituelle Tragen des Schlüssels die zentrale Rolle. Weiters werden ein männlicher Priester, der Leiter des Mysterienkultes, ein Tempelaufseher („neokoros“) und mehrere Eunuchen erwähnt.[21]
Ein weiterer Beiname der Hekate – „Propyleia“ (Torwächterin) – bezieht sich auf den Bereich der Eingänge, Türen, Tore und Schwellen. Vor allem im 5. Jahrhundert v. Chr. erfreuten sich Statuen der Hekate zum Schutz der Häuser einer großen Beliebtheit. Diese standen außen vor der Eingangstür oder dem -tor. Berichte in den antiken Quellen gibt es dafür vor allem aus Athen. Hier befanden sich häufig Altäre der Hekate in einer Vielzahl von Häusern. Der Aspekt von Hekate als „Torwächterin“ ist allerdings bereits älter und hat seinen Ursprung in Kleinasien (heute Türkei). In Milet beispielsweise stand eine Abbildung von Hekate vor dem Palast des Herrschers.[22]
An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass es in der Glaubensvorstellung des Römischen Reichs noch eine weitere Gottheit gab, die mit den Ein- und Ausgängen, Türen und Toren in Verbindung steht: Janus. Über ihn und weitere römische Gottheiten in Zusammenhang mit allem Versperrbaren informiert das Objekt des Monats Juni 2021.
Zwischen Hekate und der Göttin Artemis existiert nicht nur der Mond als Gemeinsamkeit, sondern beide gelten als Helferinnen bei Geburten. Wie bereits erwähnt wurde Hekate hauptsächlich von Frauen als Beschützerin in vielerlei Angelegenheiten angerufen. Da die Geburt an sich ebenfalls eine Art Übergang oder Schwelle angesehen werden kann, liegt es nahe, sich des Schutzes von Hekate zu versichern. Die Göttin stand damit in der Glaubensvorstellung sowohl am Anfang des Lebens sowie als Unterweltsgöttin auch an dessen Ende.[23]
Zusammenfassend kann man sagen, dass Hekate nicht nur eine facettenreiche Göttin ist, deren Aspekte zahlreichen Veränderungen erfuhren. Im Lauf der Jahrhunderte wandelte sich die mächtige, dreifaltige Göttin in die Herrin über die Unterwelt und die Zauberei. Vor allem durch letzteres erfreut sich Hekate auch in der heutigen Zeit einer gewissen Beliebtheit. Für die Sammlung der Schell Collection handelt es sich aufgrund ihrer Verbindung zu Schlüssel und Türen um eine äußert interessante göttliche Figur.
Text: Mag. Verena Lang
Quellenverzeichnis:
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Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1: Römische Bronzestatue der Hekate (1. Jh. n. Chr.) mit Darstellung eines römischen Hebe-Schiebeschlüssels in der Hand. Kapitolinisches Museums, Rom. https://en.wikipedia.org/wiki/Hecate#/media/File:Hecate_statuette_in_triple_form,_S_2173,_Roman,_1st_century_AD,_gilt_bronze_-_Musei_Capitolini_-_Rome,_Italy_-_DSC06175.jpg (Zugriff 12.12.2023).
Abb. 2: Schell Collection, Graz
Abb. 3-4: Schell Collection, Graz
Abb. 5-6: Schell Collection, Graz
Abb. 7: Gemälde “The Night of Enitharmon’s Joy” von William Blake, 1795. Tate Gallery, London. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:William_Blake_006.jpg. (Zugriff 21.12.2023)
Abb. 8: Nachzeichnung einer Darstellung auf einem attischen Krater im Metropolitan Museum of Art. Kokkinou, Sophie: Griechische Mythologie. Athen 1989. S. 35
Abb. 9: Zeichnung einer dreiförmigen Statue der Hekate mit einem Schlüssel in der Hand. In: Mallarmé, Stéphane: Les dieux antiques – Nouvelle mythologie illustrée d’après George W. Cox. et les travaux de la science moderne. A l’usage de lycées, pensionnats, écoles et des gens du monde. Ouvrage orné de 260 vignettes reproduisant des statues, bas-reliefs, médailles, camées. Paris 1880. S. 75.
Abb. 10: Zeichnung eines Details einer Statue der dreiförmigen Hekate mit einem Schlüssel in der linken Hand und ein Seil in der rechten Hand. (Detail of fol. 37). ©The Trustees of the British Museum. https://www.britishmuseum.org/collection/object/G_2005-0928-39. Creative commons: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ (Zugriff 18.12.2023).
[1] Vgl. Diels, 2021, S. 53.
[2] Vgl. Hes. theog. 409-415.
[3] Vgl. Tripp, 2012, S. 209; vgl. Kerényi, 2007, S. 34.
[4] Vgl. Hes. theog. 423-425.
[5] Vgl. Hom. Od. 12, 73ff.; vgl. Kerényi, 2007, S. 35.
[6] Vgl. Kerényi, 2007, S. 34; vgl. Mallarmé, 1890, S. 105f.; vgl. https://www.theoi.com/Khthonios/Hekate.html.
[7] Vgl. Hunger, 1974, S. 150f.; vgl. Kerényi, 2007, S. 35; vgl. Tripp, 2012, S. 209.
[8] Vgl. Hunger, 1974, S. 105f.; vgl. Kurts, 1869, S. 156ff.; vgl. Tripp, 2012, S. 209.
[9] Vgl. Apollod. 1,6,2; vgl. Apoll. Rhod. 3,477f.; 3,528-530, 3,1035-41; 3,1207-24; 4,827-29; vgl. Eur. Phoin. 109f.; vgl. Paus. 1,43,1; 2,30,2; vgl. Verg. Aen. 4,511; 4,609f.; 6,247
[10] Vgl. Hunger, 1974, S. 105f.
[11] Vgl. Strab. 14,660f.; vgl. Bean, Lagina: https://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus:text:1999.04.0006:id=lagina; vgl. Sauer, 2013, Sp. 982f.; vgl. Tripp, 2012, S. 209; vgl. Zeleny, 1999, S. 11.
[12] Vgl. Shakespeare, Macbeth, 3. Akt.
[13] Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/The_Night_of_Enitharmon%27s_Joy
[14] Vgl. Hymn. Hom. Dem. 19ff. sowie 436ff.; vgl. Kerényi, 2007, S. 184.
[15] Vgl. Eur. Medea, 397-399. vgl. Verg. Aen., 508-511.
[16] Vgl. Apollod. 1, 34-38.
[17] Vgl. Lyk. Alex. 1174 ff.
[18] Vgl. Antoninus Liberalis, Metamorphoses 29.
[19] Vgl. Ael. nat. anim. 15,11.
[20] Vgl. Henrichs, Hecate, 2015. https://doi.org/10.1093/acrefore/9780199381135.013.2957; vgl. Kurts, 1869, S. 156ff.; vgl. Pryce, 2015. https://doi.org/10.1093/acrefore/9780199381135.013.3527.
[21] Vgl. Bean .https://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus:text:1999.04.0006:id=lagina.
[22] Vgl. Harmening, 2009, S. 201f.; vgl. Hunger, 1974, S. 150; vgl. https://www.theoi.com/Khthonios/Hekate.html; vgl. Zeleny, 1999. S. 13.
[23] Vgl. Zeleny, 1999. S. 13.