Lackmalerei auf Europäischen Kassetten
Die Bergkristall-Kassette mit Lackmalerei aus der Schell Collection
Inv. Nr. 4266
Maße: 39 cm x 29 cm x 28 cm
Hans Huth vergleicht acht dieser Kassetten, er nennt sie „lackierte Kästchen mit der Datierung um 1600.“[1] Von Zweien weiß man mehr und davon geht auch die Datierung aus: Francesco Sansovino, der 1581 die Geschichte der Stadt Venedig publizierte, besuchte das Geschäft von Antonio Maria Fontana und sah dort eine der Kassetten. Die Durchsichtigkeit und vor allem die Größe der Bergkristalle beeindruckten ihn, standen sie doch im Gegensatz zu den bisher bekannten Kassetten, die nicht durchsichtig waren.
Die Zweite ist jene, über das Bild von Tizian, auf dem er seine Tochter Lavinia gemalt hat. Es gibt davon zwei Fassungen. Bei der einen, hält sie eine Schale mit Früchten in der Hand, bei einer späteren Fassung ist die Schale einer Bergkristallkassette gewichen. Scheinbar war die Art der Kassetten in Venedig im Ausgang des 16. Jahrhunderts sehr beliebt. Diese zweite Fassung des Bildes wurde „La cassette“ betitelt.
Die Kassette der Schell Collection ist im Buch von Huth in einer Fußnote besprochen, mit dem Hinweis, dass diese auf dem Londoner Kunstmarkt angeboten wurde. Anhand der Liste der Provenienz kann sie eindeutig zugewiesen werden. Zusätzlich sind Inventarzettel der Collection Duke of Westminster am Boden angebracht.
Auffallend ist, dass gleich drei dieser außergewöhnlichen Stücke als Eigentum verschiedender Mitglieder der Dynastie Rothschild aufscheinen.
Zur Provenienz:
Laut Derek Ostergard[2] war die Bergkristallkassette der Schell Collection, einst im Besitz von William Beckford. 1823 wurde sein Besitz verkauft und im Auktionskatalog scheinen, unter der Lotnummer 1142, zwei solcher Kassetten mit folgendem Hinweis auf: „Die kuriosen Reliquiare waren im Besitz von Papst Paul V aus der Familie Borghese.“ Papst Paul V. war von 1605-21 im Amt, was zeitlich mit der Entstehung der Kassette übereinstimmt. Im Jahr 1823 wurde also Beckfords Besitz an den Schotten John Farquhar verkauft. Dieser starb aber nur 3 Jahre später ohne ein Testament zu hinterlassen. Seine Erben waren sieben Nichten und Neffen. Danach war die Kassette im Besitz von Robert Lord Grosvenor (1801-93), dem dritten Sohn des Marquess von Westminster – dessen zweiter Sohn (Hugo) war der erste Duke of Westminster.
Der nächste Besitzer war Arturo Lopez-Willshaw (1900-62), der das Stück an seinen Partner Alexis von Rosenberg, Baron de Rédé (1922-2004) weitergab. Lopez-Willshaw erreichte großes Vermögen durch Zinn und Guano-Minen in Südamerika, nach seinem Tod erbten sein Vermögen sowohl seine Ehefrau als auch Alexis von Rosenberg zu gleichen Teilen. 1971 wird die Kassette von Hugh im Buch als im Besitz von Réde befindlich, erwähnt[3]. Er sagt auch, dass die Kassette von Lopez-Willshaw auf dem Londoner Kunstmarkt erworben wurde.
Bei einer Auktion in Monaco im Jahr 1975, durch Sotheby´s Monaco, wurden Gegenstände aus dem Besitz von Rédé und der Familie Guy de Rothschild und Helene de Rothschild, einer engen Vertrauten von Rédé auktioniert. Der Käufer der Kassette ist zur Zeit noch unbekannt. 20 Jahr später taucht sie wieder auf, wieder im Auktionshaus von Sotheby´s, diesmal in London. Und hier konnte sie von der Familie Schell erworben werden.
Auffällige Parallelen u Vergleichsstücken.
Vergleichsstücke zu dieser außergewöhnlichen Kassette sind in einigen Museen vorhanden. In Kent in der Hever Castle Collection, in den USA im St. Louis Art Museum, in Paris in der Sammlung von Le Duc de Mouchy und in Lissabon im Museu de Arte Antigua. All diesen Stücken ist gemeinsam, dass sie aus drei Ebenen bestehen: Der Sockelzone, der Belle Etage und der Attikazone. Der Deckel aller Kassetten ist gestuft mit schräg erhabenem und flachen Oberteil. Die Unterteilung der Wandungen erfolgt in ovalen großen Kristallfeldern, die sich mit geschliffenen und geschnittenen Cabouchons abwechseln. Dazu kommt der mit Lack bemalte Holzcorpus, der auch im Inneren genauso detaillreich aufgetragen ist.
Funktion:
Als Reliquienschreine, zur Aufbewahrung von Knochen oder anderen Stücken von Heiligen oder Märtyrern, dienten diese Behältnisse nicht, da keine religiösen Symbole auf ihnen zu finden sind. Für primäre Reliquien wie Knochen, Schädel sind die Kästchen auch zu klein, für sekundäre Reliquien wie Fragmente, Holz, Stoffe sind sie zu groß. Um als Juwelenkästchen zu dienen, sind sie zu durchsichtig und haben keine praktischen Unterteilungen im Inneren.
Eine der Kristallkästen gehörte der Familie der Herzöge von Mouchy. Sie publizierten ein Bild der Kassette und behaupteten, dass darin die Windeln von König Heinrich IV von Frankreich aufbewahrt wurden. Es war ein lang vergessener Brauch der Päpste zwischen 1601-1880, dem neugeborenen, katholischen Thronfolger sogenannte fascie zu senden. Die Gewänder enthielten den Segen des Papstes in einer Zeremonie und waren bekannt als fascie benedette. Diese Geste erinnert auch an andere päpstliche Segnungen.
Die fascie bekamen nun eine völlig andere Bedeutung, weg von der Windel zu einem heiligen Tuch. Durch einen päpstlichen Boten wurde die Kassette samt dem gesegneten Inhalt an den Beschenkten übergeben. Man weiß von dem Brauch, nicht aber vom Behältnis, in dem diese Tücher übergeben wurden. Die erste, die für diesen Brauch in Betracht kam, war Königin Margarethe von Spanien, die Gattin von Philipp III., die im September 1601 ein Kind erwartete. Der damalige Papst Clement VIII. erhielt die Nachricht ihres Wunsches und willigte ein.
Zur gleichen Zeit war auch Maria von Medici, die Gattin von Henrich IV. von Frankreich schwanger. Auch ihrem Kind wurde, ein vom Papst geweihtes Tuch, überreicht und im Louvre am 16. Dezember 1601 durch einen Delegierten (dem späteren Papst Urban VIII.) übergeben. Da die Königinnen kostbarste Geschenke zur Niederkunft erhielten, mussten die fascie natürlich ein entsprechende „Verpackung“ erhalten. Deshalb erscheint die Geschichte der Herzöge Mouchy um die Kassette plausibel.
Auch Sansovino beschreibt die von ihm gesehene Kassette folgendermaßen: „Eine große Kassette aus Bergkristall die so gemacht ist, dass der Inhalt durch die kristallenen Fenster gesehen werden kann.“[4] Sein Bericht war aber 12 Jahre vor dem ersten Geschenk niedergeschrieben worden. Hugh nimmt deshalb an, dass diese Behältnisse produziert wurden und erst vom Papst diesen Zweck erhielten. Man hat fertige Kassetten gekauft und die Leinen hineingegeben.
Nach einem Bericht aus dem Vatikan wird über sechs fascie-Spenden zwischen 1640 und 1683 geschrieben. Ein anderer Bericht erzählt über das Geschenk 1601 an Heinrich IV. von Frankreich, das aus einer Kassette mit fascie, einem Reliquienkreuz und anderen Kleinigkeiten – allesamt gesegnet vom Papst bestand und dass das Geschenk einen beträchtlichen Preis hatte. Dieser hohe Preis deutet auf eine kostbare Kassette (Bergkristall) hin[5]. Außerdem wurde 1639 fascie an Louis XIII. (Sohn von Heinrich IV.) gesandt und zur Ehre des zukünftigen Louis XIV. dienen sollten. Einige der fascie des 18. Jh. waren bemalt und zeigten Johannes den Täufer.
Graphische Vorbilder:
Rainald Franz[6] schreibt in seinem Beitrag zur Ausstellung Global:Lab, dass die Maureske durch die Verbreitung des Luxuskunsthandwerkes den Siegeszug durch Europa antrat. Der neue Stil der Flächenornamentik durch die maurischen Eroberer in Spanien (aus Malaga und Valencia) wurde so nach Europa gebracht. Daneben wurde Ornamente durch die großen Handelsrouten aus dem asiatischen und arabischen Raum nach Europa und dem Seehandel der Republik Venedig mit dem Orient verbreitet. Vorerst wurden die Luxusgüter von den Königen und Kaisern in die neu geschaffenen Kunstkammern gestellt. Markus Neuwirt[7] „Wer die historischen Zusammenhänge im Auge behält, dem wird deutlich, dass die Kunstkammern der Habsburger ihr Weltreich und ihre militärischen Erfolge spiegeln sollten“. Neben den Herrschern brachten Schiffsbesatzung, Truppen und hier besonders auch die Offiziere eine beträchtliche Anzahl an Kunstwerken mit.
Ornamente:
Jede Leiste ist mit anderen Blumenmuster oder Friesen gestaltet. Immer wird Gold auf schwarzem Grund verwendet, einzige Ausnahme sind die Cabouchons auf dem Deckelrand, die sowohl mittig als auch an den Ecken auf weißem Grund mit schwarzem Umriss zu sehen sind. Ansonsten nur Gold (also hell) auf schwarzem (dunklem) Grund. Teilweise sind die Ornamente feiner gezeichnet, teilweise weniger fein. Die äußere Rahmung der Leisten ist durch Friese wie Scheibenfries, Mäanderbänder oder Eierstabfriese gestaltet. Breitere Rahmungen zeigen Blüten (meist eine fünfblättrige Blume), die mit Ranken und kleinen Blättern miteinander verbunden sind. Größere Rahmenfelder wurden durch Girlanden und additive Blumen- und Rankendekore geschmückt. Das Hauptmotiv ist eine gefiederte, fünfblättrige Blume mit lanzettenförmigen, ebenfalls gefiederten Blättern (Saz-Blätter). Die eckigen Cabouchons an den Randzonen zeigen im Durchblick ebenfalls die gleichen Blüten. Nur hier und am Deckel außen, sind direkt hinter den Cabouchons, Lackmalereien zu sehen.
Der komplette Holzrahmen ist ganzflächig mit der Lackmalerei versehen, sowohl innen als auch außen und ebenso in den seitlichen Schrägen. Die Cabouchons aus Bergkristall dienen dem Ein- und Durchblick in das Innere und sind nicht hinterlegt. Einzige Ausnahme: Die rechte vordere Ecke ist scheinbar ergänzt worden, da hier der gesamte Bereich anstatt der Ornamente nur Gold-Schwarz verwischt erschient.
Beschläge:
Das Schloss ist sehr schlicht, zwei Messing gravierte und vergoldete „Ösen“ zeigen sich im Deckel. Sie waren zur Aufnahme von zwei Stegen bestimmt, die den Deckel offenhalten konnten. Es sind keine Befestigung der Stege an den Wandungen zu erkennen nur die passenden Ösen im Deckel sind vorhanden. Auffallend ist, dass auch die Messingbeschläge mit den gleichen Blumen wie das Holz dekoriert sind.
Lackmalerei:
Venedig war im 16. Jahrhundert das Tor Europas zum Orient. Dadurch kam es zu Kontakten venezianischer Handwerker mit den ausländischen Techniken. Einmal jährlich, zu Maria Himmelfahrt am 15. August, gab es einen großen Markt in Venedig. Auf der Piazza di San Marco wurden die Waren der ausländischen Händler wie Metallobjekte, Schmuck, Textilien, Perlen, Gewürze oder Keramik angeboten. Die Verkäufer durften nur Venezianer sein, die den ausländischen Händler im Vorfeld die Ware abkauften Diese hatten selbst kein Recht, ihre Erzeugnisse in Venedig zu verkaufen. Auf vorbestimmten Plätzen konnten die Dinge verkauft werden, auch die Händler selbst mussten in sogenannte fondachi, vorher strikt zugewiesenen Häusern bleiben und waren unter strenger Beobachtung der Obrigkeit.
Zu den ersten Techniken die durch Syrische Handwerker über Venedig nach Europa gelangten war das Tauschieren (engl. damascening). Möglicherweise hat diese Technik auch die Inspiration zur Lackarbeit ermöglicht. Das Glitzern der Effekte von strahlendem Metall wie Gold oder Silber auf dunklem Untergrund scheint wie das Auftragen von Gold auf dunklem Lack den gleichen Eindruck zu erwecken. Neben der Technik sind es vor allem Muster und Ornamente die kopiert wurden. Neben der Tauschierung, die erstmals um 1300 auftaucht, wurde die Buchbinderei mit kunstvoll geprägten Lederumschlägen ab dem 15. Jh. populär, vor allem mit Mustern im „persischen Stil“.
Das Verbot Mohammeds, Gottes Schöpfung abzubilden, lenkte die Künstler auf das weite Feld der Ornamentik. Das andere Verbot, Geräte aus Edelmetall herzustellen oder mit Edelsteinen zu verzieren hat die Handwerker des Islam nach neuen Materialien und Techniken suchen lassen, um glanzvolle Wirkungen, die Gold ähneln, zu erzielen. Eine war neben der Tauschierung, die Lackmalerei. Bis zu diesem Zeitpunkt war Lack in Europa seit dem 11. Jahrhundert alleine als Bindemittel für Farben und hier als Schutz für farbig gefasste Holzschnitzereien gebräuchlich. Nun kamen asiatische Lackarbeiten an europäische Höfe
Aber nicht nur die Handesbeziehungen brachten Schwung in die Motive, Kaiser Ferdinand II. war in einen Krieg mit der Türkei verwickelt und erbeutete 1556 und1566 zahllose Objekte im Türkischen Stil. Er war der Hauptsammler und maßgeblich bei der Entstehung der Kunstkammer auf Schloss Ambras in Tirol beteiligt. Die militärischen Dienste, die er für Philipp II. bei der Einnahme von Portugal leistete (1580-84), wurden auf seinen Wunsch hin, anstatt durch Geld auch durch „artistischen Bestellungen“[8] also mit Kunstwerken entlohnt.
Ostasiatischen Lackarbeiten wurde ab dem 16. Jh. vor allem durch spanische und portugiesische Kauffahrer nach Europa gebracht. Diese Kostbarkeiten verschwanden wie erwähnt in den fürstlichen und königlichen Schatzkammern und erst mit dem Auftauchen der Holländer ab dem Beginn des 17. Jh. wurde die Grundlage für einen regen Handel gelegt. Holland diente danach als Hauptumschlagplatz, die Stadt London ab der Gründung der englischen East India Company 1672, unter Karl II. Weitere Handelsplätze waren Amsterdam, Dieppe und Paris, hierdie Messe von St. Germain. Um die seltenen Lackmöbel entstand ein reges Gedränge und man versuchte diese in Europa nachzuahmen. Dafür kam aus Indien „gum lacca“, ein Schellack. Hauptbestandteile des Lackes waren Copal (Baumharz), Sandarac (Naturharz) und Bernstein.
Das Holz musste mit Kreidegrund grundiert werden. Danach überstrich man ihn mit mehreren Lagen Firnis, der zw. jedem Anstrich gut getrocknet werden musste. Die gewöhnliche Grundfarbe war Schwarz, auf der die Dekoration in Gold besonders gut zur Geltung kam. Die eigentliche Schwierigkeit der Lackmaler bestand in Europa außerhalb der Hauptzentren, eher an den „unzureichend vorhandenen Vorlagen“[9]. Die Lackimitatoren Venedigs, in der Zunft der depentori, waren die, die erstmals in Europa orientalische Lacke imitierten. Dabei wird eine dünne Schicht Pastiglia (Leim in Gips aufgelöst) und auf die geglättete Holzfläche aufgetragen, um die Fugen zu schließen. Danach werden hauchdünne Leinentücher aufgeklebt um klimatische Verformungen des Holzes zu vermeiden. Anschließend wird die Grundfarbe aufgetragen und das Motiv in Tempera aufgemalt und bis zu 18 Mal überlackiert. Um plastischere und erhabene Dekore zu erreichen zog man die vorgezeichneten Linien mit Pastiglia nach und das Relief von winzigen Millimetern Dicke entstand. Danach wurde das nun erhabene Motiv vergoldet oder bemalt.
Text: Mag. Martina Pall
[1] Huth Hans: Lacquer oft the west. The History of a craft an industry 1550-1950, Chicago 1971, Seite 7.
[2] Ostergard Derek (Hg.): William Beckford 1760-1844. An Eye for the Magnificent. New York 2002, Seite 435.
[3] Siehe Anmerkung 1.Seite 17.
[4] S. Anmerkung 1, Seite 8.
[5] S. Anmerkung 1, Seite 17.
[6] Franz Rainald: Die Europäische Maureske als Signet des Kulturtransfers zwischen Islam und Christliches Europa, Seite 225. In: Global:Lab- Kunst als Botschaft. Asien und Europa 1500-1700. Wien 2009, Seite224 – 240.
[7] Siehe Anmerkung 1, Seite 51.
[8] Neuwirth Markus: Portugal, die süddeutschen Fernhandelshäuser und Erzherzog Ferdinand II. In: Exotika, Portugals Entdeckungen im Spiegel fürstlicher Kunst- und Wunderkammern der Renaissance, Wien 2000. Seite 51.
[9] Siehe Anmerkung 1, Seite 7.
Lackmalerei auf Europäischen Kassetten
Die Bergkristall-Kassette mit Lackmalerei aus der Schell Collection
Inv. Nr. 4266
Maße: 39 cm x 29 cm x 28 cm
Hans Huth vergleicht acht dieser Kassetten, er nennt sie „lackierte Kästchen mit der Datierung um 1600.“[1] Von Zweien weiß man mehr und davon geht auch die Datierung aus: Francesco Sansovino, der 1581 die Geschichte der Stadt Venedig publizierte, besuchte das Geschäft von Antonio Maria Fontana und sah dort eine der Kassetten. Die Durchsichtigkeit und vor allem die Größe der Bergkristalle beeindruckten ihn, standen sie doch im Gegensatz zu den bisher bekannten Kassetten, die nicht durchsichtig waren.
Die Zweite ist jene, über das Bild von Tizian, auf dem er seine Tochter Lavinia gemalt hat. Es gibt davon zwei Fassungen. Bei der einen, hält sie eine Schale mit Früchten in der Hand, bei einer späteren Fassung ist die Schale einer Bergkristallkassette gewichen. Scheinbar war die Art der Kassetten in Venedig im Ausgang des 16. Jahrhunderts sehr beliebt. Diese zweite Fassung des Bildes wurde „La cassette“ betitelt.
Die Kassette der Schell Collection ist im Buch von Huth in einer Fußnote besprochen, mit dem Hinweis, dass diese auf dem Londoner Kunstmarkt angeboten wurde. Anhand der Liste der Provenienz kann sie eindeutig zugewiesen werden. Zusätzlich sind Inventarzettel der Collection Duke of Westminster am Boden angebracht.
Auffallend ist, dass gleich drei dieser außergewöhnlichen Stücke als Eigentum verschiedender Mitglieder der Dynastie Rothschild aufscheinen.
Zur Provenienz:
Laut Derek Ostergard[2] war die Bergkristallkassette der Schell Collection, einst im Besitz von William Beckford. 1823 wurde sein Besitz verkauft und im Auktionskatalog scheinen, unter der Lotnummer 1142, zwei solcher Kassetten mit folgendem Hinweis auf: „Die kuriosen Reliquiare waren im Besitz von Papst Paul V aus der Familie Borghese.“ Papst Paul V. war von 1605-21 im Amt, was zeitlich mit der Entstehung der Kassette übereinstimmt. Im Jahr 1823 wurde also Beckfords Besitz an den Schotten John Farquhar verkauft. Dieser starb aber nur 3 Jahre später ohne ein Testament zu hinterlassen. Seine Erben waren sieben Nichten und Neffen. Danach war die Kassette im Besitz von Robert Lord Grosvenor (1801-93), dem dritten Sohn des Marquess von Westminster – dessen zweiter Sohn (Hugo) war der erste Duke of Westminster.
Der nächste Besitzer war Arturo Lopez-Willshaw (1900-62), der das Stück an seinen Partner Alexis von Rosenberg, Baron de Rédé (1922-2004) weitergab. Lopez-Willshaw erreichte großes Vermögen durch Zinn und Guano-Minen in Südamerika, nach seinem Tod erbten sein Vermögen sowohl seine Ehefrau als auch Alexis von Rosenberg zu gleichen Teilen. 1971 wird die Kassette von Hugh im Buch als im Besitz von Réde befindlich, erwähnt[3]. Er sagt auch, dass die Kassette von Lopez-Willshaw auf dem Londoner Kunstmarkt erworben wurde.
Bei einer Auktion in Monaco im Jahr 1975, durch Sotheby´s Monaco, wurden Gegenstände aus dem Besitz von Rédé und der Familie Guy de Rothschild und Helene de Rothschild, einer engen Vertrauten von Rédé auktioniert. Der Käufer der Kassette ist zur Zeit noch unbekannt. 20 Jahr später taucht sie wieder auf, wieder im Auktionshaus von Sotheby´s, diesmal in London. Und hier konnte sie von der Familie Schell erworben werden.
Auffällige Parallelen u Vergleichsstücken.
Vergleichsstücke zu dieser außergewöhnlichen Kassette sind in einigen Museen vorhanden. In Kent in der Hever Castle Collection, in den USA im St. Louis Art Museum, in Paris in der Sammlung von Le Duc de Mouchy und in Lissabon im Museu de Arte Antigua. All diesen Stücken ist gemeinsam, dass sie aus drei Ebenen bestehen: Der Sockelzone, der Belle Etage und der Attikazone. Der Deckel aller Kassetten ist gestuft mit schräg erhabenem und flachen Oberteil. Die Unterteilung der Wandungen erfolgt in ovalen großen Kristallfeldern, die sich mit geschliffenen und geschnittenen Cabouchons abwechseln. Dazu kommt der mit Lack bemalte Holzcorpus, der auch im Inneren genauso detaillreich aufgetragen ist.
Funktion:
Als Reliquienschreine, zur Aufbewahrung von Knochen oder anderen Stücken von Heiligen oder Märtyrern, dienten diese Behältnisse nicht, da keine religiösen Symbole auf ihnen zu finden sind. Für primäre Reliquien wie Knochen, Schädel sind die Kästchen auch zu klein, für sekundäre Reliquien wie Fragmente, Holz, Stoffe sind sie zu groß. Um als Juwelenkästchen zu dienen, sind sie zu durchsichtig und haben keine praktischen Unterteilungen im Inneren.
Eine der Kristallkästen gehörte der Familie der Herzöge von Mouchy. Sie publizierten ein Bild der Kassette und behaupteten, dass darin die Windeln von König Heinrich IV von Frankreich aufbewahrt wurden. Es war ein lang vergessener Brauch der Päpste zwischen 1601-1880, dem neugeborenen, katholischen Thronfolger sogenannte fascie zu senden. Die Gewänder enthielten den Segen des Papstes in einer Zeremonie und waren bekannt als fascie benedette. Diese Geste erinnert auch an andere päpstliche Segnungen.
Die fascie bekamen nun eine völlig andere Bedeutung, weg von der Windel zu einem heiligen Tuch. Durch einen päpstlichen Boten wurde die Kassette samt dem gesegneten Inhalt an den Beschenkten übergeben. Man weiß von dem Brauch, nicht aber vom Behältnis, in dem diese Tücher übergeben wurden. Die erste, die für diesen Brauch in Betracht kam, war Königin Margarethe von Spanien, die Gattin von Philipp III., die im September 1601 ein Kind erwartete. Der damalige Papst Clement VIII. erhielt die Nachricht ihres Wunsches und willigte ein.
Zur gleichen Zeit war auch Maria von Medici, die Gattin von Henrich IV. von Frankreich schwanger. Auch ihrem Kind wurde, ein vom Papst geweihtes Tuch, überreicht und im Louvre am 16. Dezember 1601 durch einen Delegierten (dem späteren Papst Urban VIII.) übergeben. Da die Königinnen kostbarste Geschenke zur Niederkunft erhielten, mussten die fascie natürlich ein entsprechende „Verpackung“ erhalten. Deshalb erscheint die Geschichte der Herzöge Mouchy um die Kassette plausibel.
Auch Sansovino beschreibt die von ihm gesehene Kassette folgendermaßen: „Eine große Kassette aus Bergkristall die so gemacht ist, dass der Inhalt durch die kristallenen Fenster gesehen werden kann.“[4] Sein Bericht war aber 12 Jahre vor dem ersten Geschenk niedergeschrieben worden. Hugh nimmt deshalb an, dass diese Behältnisse produziert wurden und erst vom Papst diesen Zweck erhielten. Man hat fertige Kassetten gekauft und die Leinen hineingegeben.
Nach einem Bericht aus dem Vatikan wird über sechs fascie-Spenden zwischen 1640 und 1683 geschrieben. Ein anderer Bericht erzählt über das Geschenk 1601 an Heinrich IV. von Frankreich, das aus einer Kassette mit fascie, einem Reliquienkreuz und anderen Kleinigkeiten – allesamt gesegnet vom Papst bestand und dass das Geschenk einen beträchtlichen Preis hatte. Dieser hohe Preis deutet auf eine kostbare Kassette (Bergkristall) hin[5]. Außerdem wurde 1639 fascie an Louis XIII. (Sohn von Heinrich IV.) gesandt und zur Ehre des zukünftigen Louis XIV. dienen sollten. Einige der fascie des 18. Jh. waren bemalt und zeigten Johannes den Täufer.
Graphische Vorbilder:
Rainald Franz[6] schreibt in seinem Beitrag zur Ausstellung Global:Lab, dass die Maureske durch die Verbreitung des Luxuskunsthandwerkes den Siegeszug durch Europa antrat. Der neue Stil der Flächenornamentik durch die maurischen Eroberer in Spanien (aus Malaga und Valencia) wurde so nach Europa gebracht. Daneben wurde Ornamente durch die großen Handelsrouten aus dem asiatischen und arabischen Raum nach Europa und dem Seehandel der Republik Venedig mit dem Orient verbreitet. Vorerst wurden die Luxusgüter von den Königen und Kaisern in die neu geschaffenen Kunstkammern gestellt. Markus Neuwirt[7] „Wer die historischen Zusammenhänge im Auge behält, dem wird deutlich, dass die Kunstkammern der Habsburger ihr Weltreich und ihre militärischen Erfolge spiegeln sollten“. Neben den Herrschern brachten Schiffsbesatzung, Truppen und hier besonders auch die Offiziere eine beträchtliche Anzahl an Kunstwerken mit.
Ornamente:
Jede Leiste ist mit anderen Blumenmuster oder Friesen gestaltet. Immer wird Gold auf schwarzem Grund verwendet, einzige Ausnahme sind die Cabouchons auf dem Deckelrand, die sowohl mittig als auch an den Ecken auf weißem Grund mit schwarzem Umriss zu sehen sind. Ansonsten nur Gold (also hell) auf schwarzem (dunklem) Grund. Teilweise sind die Ornamente feiner gezeichnet, teilweise weniger fein. Die äußere Rahmung der Leisten ist durch Friese wie Scheibenfries, Mäanderbänder oder Eierstabfriese gestaltet. Breitere Rahmungen zeigen Blüten (meist eine fünfblättrige Blume), die mit Ranken und kleinen Blättern miteinander verbunden sind. Größere Rahmenfelder wurden durch Girlanden und additive Blumen- und Rankendekore geschmückt. Das Hauptmotiv ist eine gefiederte, fünfblättrige Blume mit lanzettenförmigen, ebenfalls gefiederten Blättern (Saz-Blätter). Die eckigen Cabouchons an den Randzonen zeigen im Durchblick ebenfalls die gleichen Blüten. Nur hier und am Deckel außen, sind direkt hinter den Cabouchons, Lackmalereien zu sehen.
Der komplette Holzrahmen ist ganzflächig mit der Lackmalerei versehen, sowohl innen als auch außen und ebenso in den seitlichen Schrägen. Die Cabouchons aus Bergkristall dienen dem Ein- und Durchblick in das Innere und sind nicht hinterlegt. Einzige Ausnahme: Die rechte vordere Ecke ist scheinbar ergänzt worden, da hier der gesamte Bereich anstatt der Ornamente nur Gold-Schwarz verwischt erschient.
Beschläge:
Das Schloss ist sehr schlicht, zwei Messing gravierte und vergoldete „Ösen“ zeigen sich im Deckel. Sie waren zur Aufnahme von zwei Stegen bestimmt, die den Deckel offenhalten konnten. Es sind keine Befestigung der Stege an den Wandungen zu erkennen nur die passenden Ösen im Deckel sind vorhanden. Auffallend ist, dass auch die Messingbeschläge mit den gleichen Blumen wie das Holz dekoriert sind.
Lackmalerei:
Venedig war im 16. Jahrhundert das Tor Europas zum Orient. Dadurch kam es zu Kontakten venezianischer Handwerker mit den ausländischen Techniken. Einmal jährlich, zu Maria Himmelfahrt am 15. August, gab es einen großen Markt in Venedig. Auf der Piazza di San Marco wurden die Waren der ausländischen Händler wie Metallobjekte, Schmuck, Textilien, Perlen, Gewürze oder Keramik angeboten. Die Verkäufer durften nur Venezianer sein, die den ausländischen Händler im Vorfeld die Ware abkauften Diese hatten selbst kein Recht, ihre Erzeugnisse in Venedig zu verkaufen. Auf vorbestimmten Plätzen konnten die Dinge verkauft werden, auch die Händler selbst mussten in sogenannte fondachi, vorher strikt zugewiesenen Häusern bleiben und waren unter strenger Beobachtung der Obrigkeit.
Zu den ersten Techniken die durch Syrische Handwerker über Venedig nach Europa gelangten war das Tauschieren (engl. damascening). Möglicherweise hat diese Technik auch die Inspiration zur Lackarbeit ermöglicht. Das Glitzern der Effekte von strahlendem Metall wie Gold oder Silber auf dunklem Untergrund scheint wie das Auftragen von Gold auf dunklem Lack den gleichen Eindruck zu erwecken. Neben der Technik sind es vor allem Muster und Ornamente die kopiert wurden. Neben der Tauschierung, die erstmals um 1300 auftaucht, wurde die Buchbinderei mit kunstvoll geprägten Lederumschlägen ab dem 15. Jh. populär, vor allem mit Mustern im „persischen Stil“.
Das Verbot Mohammeds, Gottes Schöpfung abzubilden, lenkte die Künstler auf das weite Feld der Ornamentik. Das andere Verbot, Geräte aus Edelmetall herzustellen oder mit Edelsteinen zu verzieren hat die Handwerker des Islam nach neuen Materialien und Techniken suchen lassen, um glanzvolle Wirkungen, die Gold ähneln, zu erzielen. Eine war neben der Tauschierung, die Lackmalerei. Bis zu diesem Zeitpunkt war Lack in Europa seit dem 11. Jahrhundert alleine als Bindemittel für Farben und hier als Schutz für farbig gefasste Holzschnitzereien gebräuchlich. Nun kamen asiatische Lackarbeiten an europäische Höfe
Aber nicht nur die Handesbeziehungen brachten Schwung in die Motive, Kaiser Ferdinand II. war in einen Krieg mit der Türkei verwickelt und erbeutete 1556 und1566 zahllose Objekte im Türkischen Stil. Er war der Hauptsammler und maßgeblich bei der Entstehung der Kunstkammer auf Schloss Ambras in Tirol beteiligt. Die militärischen Dienste, die er für Philipp II. bei der Einnahme von Portugal leistete (1580-84), wurden auf seinen Wunsch hin, anstatt durch Geld auch durch „artistischen Bestellungen“[8] also mit Kunstwerken entlohnt.
Ostasiatischen Lackarbeiten wurde ab dem 16. Jh. vor allem durch spanische und portugiesische Kauffahrer nach Europa gebracht. Diese Kostbarkeiten verschwanden wie erwähnt in den fürstlichen und königlichen Schatzkammern und erst mit dem Auftauchen der Holländer ab dem Beginn des 17. Jh. wurde die Grundlage für einen regen Handel gelegt. Holland diente danach als Hauptumschlagplatz, die Stadt London ab der Gründung der englischen East India Company 1672, unter Karl II. Weitere Handelsplätze waren Amsterdam, Dieppe und Paris, hierdie Messe von St. Germain. Um die seltenen Lackmöbel entstand ein reges Gedränge und man versuchte diese in Europa nachzuahmen. Dafür kam aus Indien „gum lacca“, ein Schellack. Hauptbestandteile des Lackes waren Copal (Baumharz), Sandarac (Naturharz) und Bernstein.
Das Holz musste mit Kreidegrund grundiert werden. Danach überstrich man ihn mit mehreren Lagen Firnis, der zw. jedem Anstrich gut getrocknet werden musste. Die gewöhnliche Grundfarbe war Schwarz, auf der die Dekoration in Gold besonders gut zur Geltung kam. Die eigentliche Schwierigkeit der Lackmaler bestand in Europa außerhalb der Hauptzentren, eher an den „unzureichend vorhandenen Vorlagen“[9]. Die Lackimitatoren Venedigs, in der Zunft der depentori, waren die, die erstmals in Europa orientalische Lacke imitierten. Dabei wird eine dünne Schicht Pastiglia (Leim in Gips aufgelöst) und auf die geglättete Holzfläche aufgetragen, um die Fugen zu schließen. Danach werden hauchdünne Leinentücher aufgeklebt um klimatische Verformungen des Holzes zu vermeiden. Anschließend wird die Grundfarbe aufgetragen und das Motiv in Tempera aufgemalt und bis zu 18 Mal überlackiert. Um plastischere und erhabene Dekore zu erreichen zog man die vorgezeichneten Linien mit Pastiglia nach und das Relief von winzigen Millimetern Dicke entstand. Danach wurde das nun erhabene Motiv vergoldet oder bemalt.
Text: Mag. Martina Pall
[1] Huth Hans: Lacquer oft the west. The History of a craft an industry 1550-1950, Chicago 1971, Seite 7.
[2] Ostergard Derek (Hg.): William Beckford 1760-1844. An Eye for the Magnificent. New York 2002, Seite 435.
[3] Siehe Anmerkung 1.Seite 17.
[4] S. Anmerkung 1, Seite 8.
[5] S. Anmerkung 1, Seite 17.
[6] Franz Rainald: Die Europäische Maureske als Signet des Kulturtransfers zwischen Islam und Christliches Europa, Seite 225. In: Global:Lab- Kunst als Botschaft. Asien und Europa 1500-1700. Wien 2009, Seite224 – 240.
[7] Siehe Anmerkung 1, Seite 51.
[8] Neuwirth Markus: Portugal, die süddeutschen Fernhandelshäuser und Erzherzog Ferdinand II. In: Exotika, Portugals Entdeckungen im Spiegel fürstlicher Kunst- und Wunderkammern der Renaissance, Wien 2000. Seite 51.
[9] Siehe Anmerkung 1, Seite 7.