Objekt des Monats

Objekt des Monats Juni 2018

Geätztes Kabinett

Inventar Nummer: 6422, Schell Collection Graz

Maße: 46,5 x 31 x 35,5 cm

Gewicht: ca. 70 kg

Publiziert: Martina Pall, Versperrbare Kostbarkeiten, Schell Collection, Graz 2006, Kat. 23, Seite 28 f.

Geschenke als diplomatisches Gut sind seit jeher ein probates Mittel, dem Gastgeber gegenüber großzügig, kenntnisreich und weltgewandt zu erscheinen. Das eiserne Kabinett in der Schell Collection besticht durch die hervorragenden Ätzungen, die das Kabinett auf allen Seiten (mit Ausnahme des Bodens) und ebenso auf den insgesamt 13 Laden im Inneren zeigt.

Zum Aufbau:

Das fast 70 kg schwere Kabinett ist mit Eisenplatten zusammengenietet und durch aufgeschraubte Leisten und zahlreiche Messingnieten verbunden. Die Datierung ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts anzusetzen. Die beiden Türflügel werden von schweren, mit je einer Schraube fixierten Angeln festgehalten. Die Sperrung erfolgt durch je 8 Fallen auf jeder Seite. Die Abdeckplatten der inneren Schlösser sind vermutlich nicht aus der Zeit. Gut zu erkennen sind die Markierungen des Schlossers, der durch das Einschlagen von Punkten, die Stellung der Winkelhaken und Fallen im Schloss festgelegt hat. Auffällig sind die außergewöhnlich schön geschmiedeten Tragegriffe, die mit je zwei bärtige Gesichter dekoriert sind.

Typisch für die Zeit des 16. Jahrhunderts ist auch die Lösung des Schlüsselloches, das rundbogig und geschweift ist. Vergleichsobjekte zu diesem Kabinett, sowohl im Aufbau als auch in den Vorlagen sind zwei Truhen. Eine befindet sich im Grassimuseum in Leipzig und die andere steht im Kunstgewerbemuseum in Berlin. Neben den Großfiguren in den Halbbögen sind die Zwickel der Wandungen mit feinstem Rankenwerk geätzt, dazwischen finden sich Medaillons mit menschlichen Köpfen. Die Griffe der Laden im Inneren sind ähnlich der beiden Tragegriffe an den Seitenwänden geschmiedet. Der originale Minium-Anstrich als Rostschutz findet sich noch in den Laden.

Zur Identifizierung trugen die beiden Wappen auf der Oberseite des Kabinettes bei.

Links das Wappen von Erich I. Herzog von Braunschweig-Calenberg (1470-1540) und rechts das seiner zweiten Frau, Elisabeth von Brandenburg (1500-1558). Im Jahr 1525 wurde das Paar getraut und es schien lange Zeit, durch die beiden Wappen eindeutig gesichert, dass die Hochzeit auch der Anlass für das bedeutende Geschenk sein musste.

Der Herzog kämpfte jahrelang an der Seite des Kaisers Maximilian I., dem er im bayerischen-landshuterischen Krieg im Jahr 1504 sogar das Leben rettete. Dafür wurde er vom Kaiser zum Ritter geschlagen. In zweiter Ehe heiratete er 1525 Elisabeth von Brandenburg, die ihm endlich den ersehnten Nachfolger schenkte.

1540 beim Reichstag in Hagenau verstarb der Herzog. Die Leiche wurde auf Grund angehäufter hoher Schulden über ein Jahr nicht an seine Witwe ausgehändigt.

Das vorliegende Kabinett, das im Jahr 1996 bei einem deutschen Auktionshaus versteigert wurde, erreichte über einen Händler in die Schell-Collection.

Bald kam die Vermutung auf, dass die Vorlagen vom Künstler Virgil Solis (1514-1562) sein müssen. Der unnachahmliche Stil des wohl berühmtesten Kupferstechers seiner Zeit, zeigt sich vor allem in der Darstellung der Sieben Freien Künste und hier in der Darstellung der wehenden Tücher und Schleier, die die Frauengestalten umgeben.

Die kriegerischen Figuren an der Vorderseite der beiden Kabinett-Türen zollen den militärischen Erfolgen und Vorlieben des Herzogs Tribut. Links Amazian und Chedion und rechts Octavianus und Alexander.

An der Rückseite und an den Wandungen ist die Darstellung der Sieben Freien Künste, Artihmetria und Musica, Geometria und Astrologia, sowie Gramatica, Rhetorica und Dialectica geätzt. Die 13 Laden im Inneren zeigen ebenfalls reich geätzten Dekor mit Sphinxen, Adlern, Drachen, Engeln und Löwen – jeweils paarweise angeordnet. Die unterste Lade und ein Fries auf der Oberseite zeigen eine Hirschhatz. Auf der Oberseite sind die Wappen der beiden Eheleute dargestellt. Die Vorlagen von Virgil Solis sind schnell zu finden. Mehrfach stach er die Sieben Freien Künste und auch einer, der an der Vorderseite dargestellten Feldherren (Tavianus), ist in der Reihe „Portraits von Königen und Feldherren“ zu identifizieren. Die Feldherren scheinen „nach Breus Zeichnungen zur habsburgischen Blutlinie entstanden ….. oder der Serie der neun Helden und Heldinnen Burgkmairs von 1516.“[1]

Die Jagdszenen auf der unteren Lade und auf der Oberseite sind Teile der vielfach gefertigten Vorlagen, die sich auch auf anderen Kästchen der Schell-Collection finden. Ebenfalls Solis zuzuordnen sind die Landsknechtmedaillons in den Zwickeln und die fisch-schwänzigen Figuren zwischen den Sieben Freien Künsten.

Außergewöhnlich am Grazer Kabinett ist vor allem die Wahl der Form des Kabinettes mit zwei Türflügeln und inneren Laden. Ohne Ausnahmen kennen wir in Graz kein einziges anderes, eisernes und geätztes Kabinett und auch keines mit derartig aufwändigen Ätzmalereien. Solche figurenreichen Ätzungen sind aus der Zeit um 1530-50 nur auf kleineren Kästchen und mittelgroßen Truhen zu sehen.

Virgil Solis war ein Meister sowohl des Kupferstiches als auch der Radiertechnik, der er sich erst ab 1550 vermehrt bedient. Zum Unterschied vom präzisen Stechen in Kupfer war das Radieren schneller zu bewerkstelligen.[2] Solis übernahm viele Vorlagen früherer Meister „…er übernahm Motive und Figuren nach anderen Künstlern in vorher kaum bekannten Ausmaß“.[3] Dieser Umstand erklärt, dass die Serie, die Solis von den Sieben Freien Künsten geschaffen hatte, erst einige Jahre nach dem Tod des Herzogs entstanden ist. So stellt sich nun die Frage nach der wahren Urheberschaft der Vorlagen, da das Kabinett möglicherweise ein Hochzeitsgeschenk von 1525 war.

Viele im Ausland erschienene Musterbücher oder Einzelblätter waren Virgil Solis bekannt und wurden von ihm genutzt. Vermutlich waren es italienische Ornamentstecher um Vitruv, deren Musterbücher im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts nach Deutschland kamen. Die deutsche Auflage, bei der u.a. auch Solis mitgearbeitet hat, war die Grundlage vieler Ätzmaler, die die beliebten Motive u.a. die Sieben Planeten oder wie hier die Sieben Freien Künste verwendeten. Die von Mantegna entworfenen Tarot-Karten, die ebenfalls die Sieben Freien Künste darstellen und die in der Literatur als mögliche Vorbilder genannt werden[4], entstanden 1470 und zeigen sehr statische Figuren mit Zackenfalten. Möglicherweise sind diese Holzschnitte Vorlagen, die Solis gekannt und in seinem Sinne abgewandelt hat. Sie sind nicht die direkten Vorbilder des Ätzmalers dieses Kabinettes.

Vergleicht man Solis Radierungen der Sieben Freien Künste mit den, auf das Kabinett geätzten Figuren, fällt das Fehlen aller kleinformatigen und dicht gedrängten Wolken, der Engel und das Fehlen der Landschaft im unteren Teil auf. Nur die Figuren selbst sind fast detailgetreu wiedergegeben. Wer also war der Meister, den Virgil Solis hier kopiert und ausgeschmückt hat?

Der Zeit nach wären unter anderem Vorlagen von Hans Sebaldus Beham (1500-1550) möglich, die Solis kannte. Daneben wäre noch Georg Pencz (1500-1550), in Nürnberg und Leipzig tätig, zu erwähnen. Auch Pencz stach, genauso wie Beham oder Heinrich Aldegrever (1502-1538), das Motiv. Bis heute sind noch keine ähnlichen Stiche anderer Kupferstecher und Radierer bekannt, wahrscheinlich ist, dass „Solis auf bisher nicht bekannte Vorlagen zurückgriff“[5]

Die einzigen Vorlagen, die denen auf dem Kabinett ungemein ähnlich sind, sind die von Solis selbst. Seine Version wurde von ihm, nach Angaben der Autorin Ilse O´ Dell, erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts, also mehr als 10 Jahre nach dem Tod des Herzogs angefertigt.

Sollte das geätzte Kabinett aber kein Hochzeitsgeschenk gewesen sein (die beiden Wappen der Eheleute würden dafür sprechen) sondern eine diplomatische Gabe anlässlich einer anderen Begebenheit?

Das Kabinett ist ohne Zweifel, durch Stilvergleiche, aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, auch die Vorlagen der Ätzmalereien stammen aus der gleichen Zeit.

Entstand das Kabinett erst Jahrzehnte später, als die Wappen auf dem Stück schließen lassen – war es kein Geschenk zur Hochzeit und wurde es nicht, wenigstens während der Lebenszeit des Herzog Erich I. angefertigt, die 1540 endete? Aber warum sollten die Wappen der beiden Eheleute Jahrzehnte später auf das Kabinett geätzt werden? Elisabeth von Brandenburg hat nach dem Tod des Gatten und als Vormund des unmündigen Sohnes Erich II., die Reformation im Fürstentum vorangetrieben. Sie hatte Kontakt zu Martin Luther und Corvinius – vielleicht war das Kabinett ein Geschenk, dass der reformfreudigen Fürstin aus Dank für ihren lutheranischen Eifer verehrt wurde?

Erich I. von Braunschweig-Calenberg-Göttingen mit seiner Gattin Elisabeth von Brandenburg

Wenig wahrscheinlich ist, dass das Kabinett ein Stück des 19. Jahrhunderts ist, wo für die neu gegründeten Museen für Angewandte Kunst viele alte Techniken und Objekte erneut geschaffen wurden. Dagegen spricht der formale Aufbau, die Feinheit der Ätzungen und Stilvergleiche mit originalen ebenso reich geätzten Kästchen und Truhen des 16. Jahrhunderts. Leider tritt die Forschung in diesem Bereich noch auf der Stelle. Die Zukunft wird zeigen, welche Vorlagen hier benutzt wurden. Zweifellos ist das hier gezeigte Stück ein Unikat und ein für damalige Zeiten aufwändiges und „modernes“ Geschenk, das neben der künstlerischen Zier auch den praktischen Nutzen als Tresor und brandsicherer Behälter für wichtige Dokumente hatte.

Text: Mag. Martina Pall

 

Literatur:

Ilse O´Dell-Franke, Kupferstiche und Radierungen aus der Werkstatt des Virgil Solis. Wiesbaden 1977.

Harjes Imke, Figurenbände der Renaissance. Entwicklung und Rezeption einer Buchgattung (1533-1600). Dissertation Augsburg 2007. Weimar 2008.

Martina Pall, Versperrbare Kostbarkeiten, Kästchen und Kabinette aus aller Welt. Graz 2006

 

[1] O´Dell-Franke Ilse, Seite 84.

[2] O´Dell-Franke Ilse, Seite 39.

[3] O´Dell-Franke Ilse, Seite 6.

[4] O´Dell-Franke Ilse, Seite 109.

[5] Harjes Imke, Seite 153.